Zum Fest der Aufnahme Mariens
Annecy, 15. August 1618 (OEA IX,178-191; DASal 9,279-289)
Die heilige Kirche feiert heute das Fest des glorreichen Heimgangs oder Entschlafens der allerseligsten Jungfrau und ihrer Aufnahme in den Himmel. Manche haben diesem Fest verschiedene Namen gegeben: die einen nennen es die Himmelfahrt, andere die Krönung Unserer lieben Frau, die übrigen ihre Aufnahme in den Himmel. Man könnte zahllose Erwägungen zu diesem Gegenstand anstellen; ich will mich aber darauf beschränken, nur über zwei davon zu sprechen, nämlich wie die heilige Jungfrau unseren Herrn und Meister empfing, als er vom Himmel auf die Erde herabstieg, und wie ihr göttlicher Sohn sie empfing, als sie die Erde verließ, um in den Himmel einzuziehen.
Das Evangelium, das wir heute in der heiligen Messe gelesen haben (Lk 10,38-42), bietet uns Stoff genug für das eine und das andere Vorhaben. Dieses Evangelium handelt davon, daß Unser Herr durch einen Ort mit dem Namen Betanien kam und in das Haus einkehrte, das einer Frau namens Marta gehörte. Sie hatte eine Schwester mit Namen Maria Magdalena. Marta war sehr aufgeregt und eifrig bemüht, Unserem Herrn ein Mahl zu bereiten. Maria saß zu seinen Füßen und lauschte seinem Wort. Marta wünschte, daß alle ebenso besorgt seien wie sie, dem Heiland zu dienen; sie beklagte sich bei ihm und sagte, er möge ihre Schwester auffordern, ihr zu helfen. Sie hielt es nicht für nötig, daß jemand bei ihm bleibe, da er sich ganz allein zu unterhalten wüßte. Aber unser göttlicher Meister rügte sie und sagte ihr, sie sei sehr geschäftig und bemühe sich um viele Dinge; und er fügte hinzu: Nur eines ist notwendig; Maria hat den besten Teil erwählt, der ihr nicht genommen werden soll.
Die beiden Frauen stellen Unsere liebe Frau dar: Marta in dem Empfang, den die heilige Jungfrau ihrem göttlichen Sohn bereitete, und in der Sorge für ihn, solange er in diesem sterblichen Leben weilte; Maria in dem Empfang, der ihr von ihrem Sohn oben in seiner Glorie bereitet wurde. Unsere liebe Frau erfüllte bewundernswert gut in diesem Leben die Aufgabe der einen wie der anderen der beiden Schwestern. O Gott, mit welcher Sorgfalt versah sie doch Unseren Herrn mit allem Notwendigen, solange er klein war! Welche Geschäftigkeit, oder besser gesagt, welche Sorgfalt wandte sie auf, um dem Grimm des Herodes zu entgehen! Was tat sie nicht alles, um ihn aus so vielen Gefahren und Unfällen zu retten, von denen er bedroht war!
Doch sehen wir ein wenig, wie wunderbar gut sie die Aufgabe der Maria erfüllte. Das heilige Evangelium erwähnt ausdrücklich das Schweigen Unserer lieben Frau (Lk 2,51). Maria schwieg und hielt sich zu Füßen ihres Meisters. Sie hatte nur eine Sorge: in seiner Gegenwart zu sein. Ebenso scheint unsere würdige Herrin nur diese Sorge gehabt zu haben. Seht sie in der Stadt Betlehem, wo man alles Mögliche unternimmt, um eine Unterkunft für sie zu finden. Es findet sich keine; sie sagt kein Wort. Sie geht in den Stall, sie kommt nieder und gebiert ihren vielgeliebten Sohn; sie legt ihn in die Krippe. Die Könige kommen, um ihn anzubeten, und man kann sich denken, welches Lob sie dem Kind und der Mutter spenden; sie sagt kein Wort. Sie trägt ihn nach Ägypten, sie bringt ihn zurück, ohne mit einem Wort ihren Schmerz auszudrücken, daß sie ihn dorthin bringen muß, noch die Freude, die sie empfinden mußte, ihn zurückzubringen. Was aber noch bewundernswerter ist: seht sie auf dem Kalvarienberg (Joh 19,25-27). Sie stößt keinen Seufzer aus, sie sagt kein einziges Wort; sie steht zu Füßen ihres Sohnes, und das ist das einzige, was sie ersehnt. Folglich ist sie wie in vollkommenem Gleichmut: Alles komme, wie es mag, scheint sie zu sagen; wenn ich nur bei ihm bin und ihn besitze, bin ich zufrieden, denn ich will und suche nur ihn.
Beachtet bitte, daß Unser Herr Marta rügte, weil sie zu geschäftig war, nicht deswegen, weil sie Sorge trug. Unsere liebe Frau verwandte große Sorgfalt auf den Dienst unseres göttlichen Meisters, aber eine Sorgfalt ohne Verwirrung und Aufregung. Die Heiligen im Himmel sind mit Sorgfalt darauf bedacht, Gott zu verherrlichen und zu loben, aber ohne Unruhe, denn die gibt es dort nicht. Die Engel haben Sorgfalt für unser Heil, aber in Frieden und Ruhe. Nun, wir sind so armselig, daß wir selten für etwas Sorge tragen ohne Aufregung und Verwirrung. Sehr oft könnt ihr einen Mann sehen, der großen Eifer für die Predigt hat; verwehrt ihm zu predigen, und schon ist er verwirrt. Ein anderer, der die Kranken besuchen und trösten will, wird es nicht ohne Geschäftigkeit tun, ja ohne sich zu beunruhigen, wenn er verhindert ist, es zu tun. Wieder ein anderer, der eine große Vorliebe für das Geistesgebet hat, so daß er nur auf den Geist bedacht zu sein scheint, wird doch aufgeregt und verwirrt sein, wenn man ihn daran hindert, um ihn etwas anderes tun zu lassen.
Sagt mir nun: wäre Marta so geschäftig gewesen, wenn sie nur Sorge getragen hätte, Unserem Herrn zu gefallen? Gewiß nicht, denn ein einziges Gericht, gut zubereitet, hätte als Nahrung für ihn genügt, zumal er mehr Freude empfungen hätte, wenn sie ihm zugehört hätte wie Maria. Mit ihrer Arbeit und Geschäftigkeit, dafür zu sorgen, was unser Meister brauchte, verband Marta auch ein wenig Selbstgefälligkeit, die sie zeigen und wünschen ließ, daß man die Höflichkeit und Freundlichkeit sehe, mit der sie jene empfing, die ihr die Ehre erwiesen, sie zu besuchen. Deshalb ging sie ganz in der Aufwartung auf, die der äußeren Bedienung des Heilands galt. Das gute Mädchen glaubt noch, auf diese Weise eine gute Dienerin Gottes zu sein, und hielt sich für etwas Besonderes. Da sie ihre Schwester sehr liebte, wünschte sie, daß auch diese wie sie geschäftig sei, um ihren teuren Meister zu bedienen. Er aber hatte trotzdem mehr Gefallen an der Haltung Marias, in deren Herz er durch seine Worte größere Gnaden träufelte, als wir denken können.
Das entspricht der Antwort, die er jener Frau gab, von der im Evangelium (Lk 11,27f) berichtet wird. Du sagst, selig der Leib, der mich getragen, und die Brüste, die mich genährt haben; ich aber sage dir: selig sind jene, die das Wort Gottes hören und es bewahren. Nun, jene, die sich ereifern und abmühen wie Marta, etwas für Unseren Herrn zu tun, halten sich für fromm und diese Geschäftigkeit für eine Tugend. Das stimmt trotzdem nicht, wie er selbst zu verstehen gibt: Nur eines ist notwendig, nämlich Gott haben und ihn besitzen. Wenn ich nur ihn suche, was kann es mir dann ausmachen, daß man mich dies oder das tun heißt? Wenn ich nur seinen Willen erfüllen will, ist es dann wichtig für mich, ob man mich nach Spanien oder Irland schickt? Und wenn ich nur sein Kreuz suche, warum rege ich mich darüber auf, wenn man mich nach Indien schickt, in die neue oder alte Welt? Ich bin ja sicher, daß ich das Kreuz überall finden werde.
Unsere glorreiche Herrin versah schließlich das Amt der Marta, indem sie Unseren Herrn mit größter Liebe und Ehrfurcht in ihrem Haus und in ihrem Schoß aufnahm. Sie diente ihm sein ganzes Leben lang mit beispielloser Sorgfalt. Bleibt noch zu zeigen, wie ihr Sohn sie zum Lob dafür im Himmel aufnahm. Das geschah mit unvergleichlicher Liebe und Glorie, mit einer Herrlichkeit, die jene aller Heiligen in dem Maß übersteigt, als ihre Verdienste die der Heiligen übertreffen.
Bevor wir aber von ihrer Aufnahme in den Himmel sprechen, müssen wir sagen, wie und welchen Todes sie starb. Ihr kennt die Geschichte ihres glorreichen Heimgangs. Ich fühle mich trotzdem stets gedrängt, mit Rücksicht auf die gewöhnlichen und einfachen Zuhörer von den Geheimnissen zu berichten, die wir feiern. Als unsere liebe Frau und würdigste Herrin das Alter von 63 Jahren erreicht hatte, starb sie oder vielmehr fiel sie in den Schlaf des Todes. Es gibt genug Leute, die sich darüber wundern und sagen: Unser Herr liebte doch seine heilige Mutter so zärtlich und so sehr; wieso hat er ihr nicht das Privileg verschafft, daß sie nicht sterben mußte? Der Tod ist doch die Strafe für die Sünde, sie aber hat nie eine begangen; wieso hat er sie dann sterben lassen? Ihr Sterblichen, eure Gedanken widersprechen denen der Heiligen und eure Entscheide sind weit entfernt von denen der göttlichen Majestät (Jes 55,8f)! Wißt ihr nicht, daß der Tod nicht mehr schmachvoll sondern kostbar ist, seit Unser Herr und Meister sich von ihm an den Baum des Kreuzes heften ließ? Es wäre für die heilige Jungfrau kein Vorzug und kein Privileg gewesen, nicht zu sterben, sondern sie hat den Tod stets ersehnt, seit sie ihn in den Armen, ja selbst im Herzen ihres allerheiligsten Sohnes gesehen hat. Der Tod ist so süß und erstrebenswert, daß die Engel sich glücklich schätzen würden, wenn sie sterben könnten, und die Heiligen waren glücklich, ihn zu erleiden, und haben darin viel Trost gefunden, weil unser göttlicher Erlöser, der unser Leben ist (Kol 3,4), sich dem Tod als Beute überließ.
Man sagt gewöhnlich: Wie das Leben so der Tod. Was meint ihr also, welchen Todes starb die heilige Jungfrau, wenn nicht des Todes aus Liebe? Es ist über jeden Zweifel erhaben, daß sie aus Liebe starb, aber ich sage das nicht, weil es geschrieben steht. Sie war immer die Mutter der schönen Liebe (Sir 24,24). Man kann in ihrem Leben keine Entrückungen und Ekstasen feststellen, weil diese Entrückungen ständig andauerten. Sie liebte mit einer stets starken, stets glühenden aber ruhigen und von tiefem Frieden begleiteten Liebe. Und obschon diese Liebe unaufhörlich zunahm, geschah dieses Wachsen nicht ruck- oder stoßweise, sondern stets fließend wie ein ruhiger Strom und fast nicht wahrnehmbar, durch die stets so ersehnte Vereinigung ihrer Seele mit der göttlichen Güte.
Als nun für die glorreiche Jungfrau die Stunde gekommen war, aus diesem Leben zu scheiden, bewirkte die Liebe die Trennung ihrer Seele von ihrem Leib, und der Tod war nichts anderes als diese Trennung. Ihre ganz heilige Seele flog geradewegs in den Himmel; denn was hätte sie daran hindern können, ich bitte euch. Sie war ja ganz rein und hatte sich nie den geringsten Makel der Sünde zugezogen. Was uns daran hindert, wie Unsere liebe Frau geradewegs in den Himmel zu kommen, wenn wir sterben, ist die Tatsache, daß wir fast alle Staub oder Schmutz an unseren Füßen haben. Deshalb müssen wir sie waschen und reinigen gehen an dem Ort, den man Reinigungsort nennt, bevor wir in den Himmel eingehen.
Die Großen dieser Welt veranstalten manchmal Gesellschaften, und meist ganz unnütze. Es kommt ihnen in den Sinn, daß sie den Ort ihrer Zusammenkunft nicht hell wünschen, sondern sie wollen ihn dunkel und finster haben; und das, um irgendein Ballett, oder was weiß ich, zu veranstalten, das im Dunkeln vorteilhafter erscheint. Die Kerzen und Fackeln verbreiten zu viel Licht, folglich muß man Lampen verwenden, die mit duftendem Öl gespeist werden. Die Lampen verströmen ständig eine Ausdünstung und spenden der Gesellschaft mehr Lieblichkeit und Ergötzen. Wenn nun diese Lampen erlöschen, verbreiten sie einen viel herrlicheren Duft und erfüllen den Raum mit größerem Wohlgeruch. An vielen Stellen der Heiligen Schrift finden wir, daß die Lampen die Heiligen versinnbilden. Sie gleichen Lampen, die ständig den Duft des guten Beispiels vor den Menschen verströmen und stets vom Feuer der Gottesliebe entbrannt waren. Welch süßen Duft haben diese Lampen während ihres Lebens vor der göttlichen Majestät verbreitet, aber viel mehr noch in der Stunde ihres Todes. Der Tod des Gerechten ist kostbar vor dem Herrn, wie im Gegenteil der Tod des Bösewichts ihm ein Greuel ist (Ps 34,22), so daß er sie zur Verdammnis führt.
Wenn nun die Heiligen brennende und duftende Lampen waren (Hld8,6; Joh 5,35), um wieviel mehr die allerseligste Jungfrau. Ihre Vollkommenheit übertrifft die aller Seligen. Ja, wenn alle ihre Vollkommenheiten in eine vereinigt wären, wäre sie nicht zu vergleichen mit der ihren. Sie war gewiß eine Lampe, vollkommen gespeist mit duftendem Öl. Was meint ihr also, welchen Wohlgeruch sie in der Stunde ihres glorreichen Hinscheidens verströmte? Die jungen Mädchen folgten ihr nach wegen des Duftes ihrer Salben (Hld 1,2f). Die heilige Seele unserer glorreichen Herrin flog geradewegs in den Himmel und begann ihren Wohlgeruch vor der göttlichen Majestät zu verströmen, die sie aufnahm und auf einen Thron zur Rechten ihres Sohnes setzte.
Doch was glaubt ihr, mit welchem Triumph, mit welchem Prunk sie von ihrem vielgeliebten Sohn empfangen wurde als Erwiderung der Liebe, mit der sie ihn empfing, als er auf die Erde kam? Man darf wohl glauben, daß er nicht undankbar war, sondern daß er sie belohnte mit einem Grad der Glorie, um soviel erhabener über alle seligen Geister, als ihre Verdienste die aller Heiligen zusammen überragten. Der große heilige Apostel Paulus gibt einen Hinweis, wenn er von der Herrlichkeit des Gottessohnes, unseres Herrn spricht, durch den man den hohen Grad der Glorie seiner allerseligsten Mutter gut erkennen kann. Er sagt (Hebr 1,5-7): Jesus wurde soviel über alle Kerubim und die übrigen seligen Geister erhöht, als sein Name über alle anderen Namen erhaben ist. Von den Engeln steht geschrieben: Ihr seid meine Diener und meine Boten; aber zu welchem von ihnen wurde gesagt: Du bist mein Sohn, ich habe dich gezeugt? Ebenso können wir von der allerseligsten Jungfrau sagen: sie ist der Ausbund alles Schönen im Himmel und auf Erden. Zu welcher Frau wurde gesagt: Du bist die Mutter des Allmächtigen und des Gottessohnes, außer zu ihr? Ihr könnt euch also gut vorstellen, daß sie über alles erhöht wurde, was nicht Gott ist.
Als die hochheilige Seele Unserer lieben Frau ihren reinsten Leib verlassen hatte, wurde dieser ins Grab gelegt und der Erde übergeben wie der ihres Sohnes, denn es war sehr angemessen, daß die Mutter nicht mehr Vorrechte besaß als der Sohn. Wie aber Unser Herr nach drei Tagen auferstanden ist, ebenso ist auch sie nach drei Tagen auferstanden, allerdings auf andere Weise: Der Erlöser ist aus eigener Kraft und Autorität auferstanden; Unsere liebe Frau ist auferstanden durch die Allmacht ihres Sohnes. Er befahl der gebenedeiten Seele seiner hochheiligen Mutter, sich wieder mit ihrem Leib zu vereinigen. Es war gewiß sehr geziemend, weil aus seinem keuschen Schoß der Leib Unseres Herrn gebildet wurde und in ihm neun Monate geborgen war.
Die Bundeslade, in der sich die Gesetzestafeln befanden (1 Kön 8,9; Hebr 9,4), konnte in keiner Weise von Fäulnis befallen werden, denn sie war aus Zedernholz gemacht, das unverweslich ist (Ex 25,10). Wieviel angemessener ist es, daß die Arche von jedem Verfall ausgenommen war, in der der Herr des Gesetzes ruhte! Die Auferweckung der allerseligsten Jungfrau ist vorhergesagt mit den Worten (2 Chr 6,41; Ps 132,8): Erhebe dich, Herr, du und die Arche deiner Heiligung. Die Worte erhebe dich beziehen sich auf die Auferstehung Unseres Herrn; die folgenden Worte, und die Arche deiner Heiligung, müssen von jener seiner Mutter verstanden werden. Unser Leib wird wieder zu Staub, ob wir das wollen oder nicht; das ist der Tribut, den wir schuldig sind und den wir alle bezahlen müssen für die Schuld, die wir alle in Adam auf uns geladen haben. Erde bist du, und zur Erde wirst du zurückkehren (Gen 3,19; Koh 12,7). Die Würmer werden uns fressen, und wir haben allen Grund, zu den Würmern zu sagen: Ihr seid mir Vater, ihr seid mir Mutter (Ijob 17,14).
Ich weiß nicht, ob euch aufgefallen ist, daß der junge David, ehe er den Kampf gegen Goliat aufnahm, sich bei den Kriegern genau erkundigte, was man dem geben wird, der diesen Riesen, den Feind der Kinder Gottes, besiegt und bezwingt. Man antwortete ihm, der König habe dem große Reichtümer versprochen, dem es gelingt, ihn zu überwältigen. Aber das genügte dem Herzen Davids nicht, das großmütig war und an nichts weniger als an Reichtümer dachte. Man fügte den Reichtümern die Ehre hinzu und sagte: Der König wird ihn nicht nur reich machen, er wird ihm seine Tochter zur Frau geben, ihn zu seinem Schwiegersohn machen und darüber hinaus sein Haus von Abgaben befreien (1 Sam 18,25-27.30).
Als unser Herr und Meister in diese Welt kam, erkundigte er sich wie sein Vorfahre David, was man dem geben wird, der den mächtigen Goliat besiegen wird, den Teufel, den er selbst den Fürsten dieser Welt (Joh 12,31; 14,30) nennt wegen seiner großen Macht vor der Menschwerdung des Wortes. Man gab ihm die gleiche Antwort wie David: Der König wird den reich machen, der diesen grausamen Goliat überwindet. Und hört das Unvergleichliche, das der ewige Vater sagte: Ich werde ihn zum König machen und ihm alle Macht im Himmel und auf Erden geben (Ps 2,6-8; Hebr 1,2). Aber Unser Herr wäre damit nicht zufrieden gewesen, hätte man nicht hinzugefügt: Der König hat versprochen, ihm seine Tochter zur Frau zu geben. Nun, die Tochter des Königs, d. h. Gottes, ist nichts anderes als die Herrlichkeit. Unser göttlicher Meister war immer sehr glorreich und besaß stets die ganze Herrlichkeit. Seine Seele war im höheren Bereich stets unlösbar vereinigt und verbunden mit der Gottheit vom Augenblick seiner Empfängnis an. Aber die Herrlichkeit, die ihm versprochen wurde, war die Verherrlichung seines Leibes. Trotzdem wäre er noch nicht damit zufrieden gewesen, wenn man nicht hinzugefügt hätte, daß sein Haus vom Tribut befreit sein wird. Was ist aber das Haus Unseres Herrn, wenn nicht der heilige jungfräuliche Leib Unserer lieben Frau? Sie war also durch die Verdienste ihres Sohnes vom Tribut befreit, d. h. sie wurde auferweckt, bevor sie im Grab irgendeinen Makel oder Schaden erlitt.
Was bleibt uns nun noch zu sagen, als zu fragen, ob wir nicht in irgendeiner Weise die Himmelfahrt unserer glorreichen und höchst würdigen Herrin nachahmen können. Dem Leib nach können wir das bis zum Tag des Jüngsten Gerichtes nicht; da werden die Leiber der Seligen glorreich auferweckt, die Verworfenen, um ewig verdammt zu sein. Doch sehen wir, wie wir sie der Seele nach darin nachahmen können, daß sie sich untrennbar mit der göttlichen Majestät zu vereinigen und zu verbinden strebte. Im Evangelium heißt es, daß Marta, als Unser Herr ihr Haus betrat, sehr geschäftig war, hin- und herging, um ihn gut zu bedienen, während Maria zu Füßen des Heilands blieb, wo sie sein Wort hörte. Während Marta darauf bedacht war, den Leib ihres Meisters zu speisen, gab Maria diese Sorge auf zugunsten jener, seine Seele zu erquicken und zu stärken; das tat sie, indem sie Unserem Herrn lauschte.
Marta wurde von einem Anflug des Neides erfaßt. Es gibt äußerst wenige, die das nicht sind, so vergeistigt sie sein mögen. Je mehr man vergeistigt ist, um so feiner und kaum wahrnehmbar ist der Neid; er geht so geschickt vor, daß man große Mühe hat, ihn zu bemerken. Wenn wir jemand loben und ein wenig von dem Lob zurückhalten, von dem wir wissen, daß es ihm gebührt, wer bewirkt das, wenn nicht der Neid, den wir auf seine Tugend haben? Aber Marta führt ihren kleinen Schlag und macht den kleinen Ausbruch ihres Neides in Form eines Scherzes, und das ist die feinste. Sie sagt: Meister, läßt du zu, daß meine Schwester mir nicht hilft und mir die ganze Sorge um das Hauswesen überläßt? Befiehl ihr, daß sie mir zu Hilfe kommt. Unser Herr, der beispiellos gütig ist, tadelt sie nicht streng, obwohl er ihre Unvollkommenheit sehr wohl erkennt, sondern liebevoll, denn dieses Evangelium ist erfüllt von Liebe. Der Evangelist vermerkt, daß er sie ansprach und sagte: Marta, Marta, du machst dir Sorge um vieles. Nur eines ist notwendig; Maria hat den besten Teil erwählt, der ihr nicht genommen werden soll.
Aber sprechen wir noch ein wenig von den kleinen Streichen des Neides, die unsere Eigenliebe verübt. Sie sind gewiß wie kleine Füchse, die den Weinberg verwüsten und verderben (Hld 2,15). Hört die Ordensleute, wenn sie von ihrem Institut sprechen; sie schätzen es stets höher als alle anderen. Es ist wahr, sagen sie, dieser Orden, von dem ihr sprecht, ist von großer Vollkommenheit, aber der meine ist immer etwas voraus. O, ich spreche nicht von mir, sondern nur von der großen Vollkommenheit, nach der man in ihm strebt. Gebt acht auf euch, denn schließlich werdet ihr auf euch selbst zurückkommen, ich sage sogar, ohne es zu bemerken. Ein anderer wird sagen: Ich bin armselig, ich kann nichts tun, was einen Wert hätte; aber eine solche Predigt, wie ich sie gehalten habe ... Und er wird tun, als wolle er diese Worte nicht fortsetzen, bis man die Predigt irgendeines anderen lobt. Und so auch, wenn wir hören, daß man jemand lobt, streuen wir nebenbei irgendein kleines Wort ein, damit man auf uns selbst zurückkomme.
Kommen wir zur geschäftigen Marta zurück. Gewiß, wir verstehen es nicht, etwas ohne Geschäftigkeit zu tun, oder besser gesagt, ohne große Beflissenheit dem äußeren Menschen nach. Wir müssen wissen, daß es zwei Teile in uns gibt, die den einen Menschen bilden: den äußeren Menschen und den inneren. Der innere Mensch strebt stets nach der Vereinigung mit der göttlichen Majestät und führt die notwendigen Gespräche, um zu dieser Vereinigung zu gelangen. Der äußere Mensch ist der, den wir sehen, der schaut, der spricht, der berührt, der schmeckt, der hört. Er ist es, der geschäftig ist in der Übung der Tugenden, die das Gebot der Nächstenliebe betreffen, während der innere Mensch die Gottesliebe übt. Diese zwei Menschen betätigen sich also in der Beobachtung der zwei Hauptgebote, auf denen wie auf zwei Säulen das ganze Gesetz und die Propheten beruhen (Mt 22,40). Die alten Philosophen sagten, man muß vor dem Werk auf das Ziel schauen; wir aber tun genau das Gegenteil, denn wir machen uns geschäftig an die Ausführung des Werkes, das wir unternommen haben, bevor wir überlegen, welchen Zweck es haben soll.
Sagen wir das etwas deutlicher. Das Ziel unseres Lebens ist der Tod. Wir müßten also sorgfältig überlegen, wie unser Tod beschaffen sein soll und was dazu notwendig ist, damit wir unser Leben einstellen auf den Tod, den wir uns wünschen. Es ist ja sicher: wie unser Leben ist, so wird unser Tod sein, und unser Tod ist so, wie unser Leben war.
Sehen wir nun, wie der äußere Mensch nichts ohne größte Geschäftigkeit zu tun weiß, selbst nicht die Übung der Tugenden. Die Alten, die eine Aufzählung der Tugenden vornahmen, haben deren eine ganze Völkerschaft festgestellt und schließlich gefunden, daß sie sich noch zu kurz gefaßt haben. Treten wir in diese Abfolge der Tugenden ein, um zu untersuchen, ob wir keine davon ohne Sorgfalt und Aufmerksamkeit üben können. Man muß große Sorgfalt darauf verwenden, die Sittsamkeit zu üben. Seht ihr diesen Menschen, der sich vorgenommen hat, sie zu üben? Er beginnt damit, ein Abkommen mit seinen Augen (Ijob 31,1) zu schließen, daß sie nur die notwendigen Dinge ansehen und nichts darüber hinaus. Dazu macht er es mit ihnen wie mit den Sperbern, denen man eine Kappe aufsetzt, wenn man sie nicht fliegen lassen will, um sie leichter auf der Faust zu halten. Das gleiche macht er mit seinen Augen, denn er bedeckt sie mit ihrer natürlichen Kappe, das sind die Lider, damit sie nur sehen, was notwendig ist. Er ist außerdem sehr darauf bedacht, sich ständig sittsam zu verhalten, damit ihm keine Handlung unterlaufe, die leichtfertig aussieht.
Welcher Aufmerksamkeit bedarf es doch, um die Geduld zu üben und um nicht in Zorn zu geraten! Cassian schreibt, daß es nicht genügt, die Gelegenheiten zu meiden, mit den Menschen zu sprechen und zu verkehren. Das Mittel, diese Tugend zu erwerben, besteht nicht darin, die Gelegenheit zu ihrer Übung zu meiden, zumal er von sich selbst berichtet, daß er allein in der Wüste nachts aufstand und den Feuerstein nahm, um seine Lampe anzuzünden; wenn der Stein keinen Funken geben wollte, geriet er in Zorn und warf den Stein zu Boden.
Man muß gewiß sehr darauf achten, keine Handlung in Ungeduld zu verrichten; aber, o Gott, die geistliche Tapferkeit zu üben, sich niemals im Guten entmutigen zu lassen, das kann man nur erreichen durch große Achtsamkeit, die Bescheidenheit zu wahren. Das gleiche sage ich von der Standhaftigkeit, von der Beharrlichkeit, von der Freundlichkeit, vom Maßhalten und vor allem vom Maßhalten in seinen Worten. Welche Zügel muß man doch der Zunge anlegen, um sie daran zu hindern, daß sie wie ein durchgegangenes Pferd durch die Straßen läuft und in das Haus des Nächsten eindringt, ja sogar in sein Leben, um sie zu zügeln und sie zu überwachen oder ihr doch ein wenig von der Wertschätzung zu nehmen, von der wir wissen, daß sie ihr zusteht.
Aber welches Mittel gibt es dagegen, fragt ihr mich, daß man so viel Sorge hat, da ich mich doch in der Tugend üben muß? Diese Sorge ist gewiß sehr lobenswert, wenn sie ohne Ängstlichkeit und Geschäftigkeit ist. Hier ist gleichwohl ein Mittel, um euch von zuviel Sorge zu befreien: Unser Herr sagt: Nur eines ist notwendig, nämlich um gerettet zu werden. Zur Förderung unseres Heiles bedarf man nicht so vielfacher Mittel, wenn auch die Förderung für alles notwendig ist. Ich sage euch: Habt die hochheilige Liebe, und ihr werdet alle Tugenden besitzen. Daß dem so ist, hört vom großen Apostel (1 Kor 13,4-7): Die Liebe ist mild, sie ist geduldig, sie ist gütig, sie ist mitfühlend, sie ist demütig, sie ist freundlich, sie erträgt alles; schließlich begreift sie in sich selbst alle Vollkommenheiten der anderen Tugenden, aber viel vorzüglicher, als diese selbst es tun. Die Liebe hat nur einen Akt, nämlich den der Verbindung und Vereinigung. Gott über alles zu lieben, ist das erste Gebot; den Nächsten über alles zu lieben, was nicht Gott ist, ist das Abbild des ersten Gebotes (Mt 22,37-39).
Die allerseligste Jungfrau, unsere glorreiche Herrin, übte die eine und die andere Form dieser Liebe in dem Empfang, den sie ihrem Sohn bereitete: sie liebte und empfing ihn als ihren Gott; sie empfing ihn, liebte ihn und diente ihm als ihrem Nächsten. Man kann die eine Liebe nicht ohne die andere haben (1 Joh 4,20f). Liebt ihr Gott vollkommen, dann liebt ihr also auch den Nächsten vollkommen. In dem Maß, in dem die eine Liebe wächst, nimmt auch die andere zu; ebenso bleibt es nicht aus, wenn die eine abnimmt, daß sich auch die andere vermindert. Wenn ihr die Gottesliebe habt, dann laßt euch nicht auf Mühen und Sorgen ein, die anderen Tugenden zu üben, zumal wenn sich keine Gelegenheit bietet, sich darin zu üben, wenn ihr es nicht ohne Sorge tut. Ich sage, welche Tugend immer das sein mag: die Geduld, die Güte, die Sittsamkeit und ebenso die anderen.
Die Kaninchen werfen alle drei Wochen Junge; es gibt eine Menge von Häschen, abertausende von Fliegen, unzählige Mücken, aber nur sehr wenige Adler. Der Elefant bekommt nur ein Kalb, ein Elefantenjunges; die Löwin wirft immer nur einen jungen Löwen. Ebenso besteht die Übung der Marta aus einer Vielzahl von Akten, aber jene der Maria, nämlich die Liebe, nur aus einem einzigen, nämlich in der Verbindung und Vereinigung, wie wir gesagt haben.
Es hat den Anschein, daß die Aufnahme Unserer lieben Frau in den Himmel in gewisser Hinsicht herrlicher und strahlender war als die Himmelfahrt Unseres Herrn, zumal bei seiner Himmelfahrt nur die Engel zugegen waren, die ihm entgegenkamen, bei der Aufnahme seiner hochheiligen Mutter kam der König der Engel selbst. Deshalb riefen die Engel voll Staunen aus: Wer ist jene, die heraufsteigt aus der Wüste, gestützt auf ihren Vielgeliebten (Hld 8,5)? Von daher können wir erkennen: obwohl Unsere liebe Frau ganz rein in den Himmel auffuhr, stützte sie sich unbeschadet ihrer Reinheit dennoch auf die Verdienste ihres Sohnes; kraft dieser Verdienste ging sie in die Glorie ein. Nie hatte man so viele Spezereien in der Stadt Jerusalem gesehen, wie die Königin von Saba brachte, als sie den großen König Salomo besuchte; er hingegen machte ihr Geschenke entsprechend seiner Größe und königlichen Herrlichkeit (1 Kön 10,1f.10). Ebenso sage ich, daß nie so viele Verdienste und so viel Liebe durch irgendein bloßes Geschöpf in den Himmel mitgebracht wurden, wie die hochheilige Jungfrau bei ihrer glorreichen Aufnahme dorthin mitbrachte. Als Gegengabe verlieh ihr der große König der Ewigkeit, der allmächtige Gott einen Grad der Herrlichkeit, der seiner Erhabenheit würdig ist, ebenso die Macht, denen, die sie verehren, Gnaden zu vermitteln, die ihrer Freigebigkeit und Herrlichkeit würdig sind. Amen.
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