Zum Fest des hl. Josef

Lyon, 19. März 1621 (OEA VIII,397-402; DASal 9,193-196)

Der Gerechte blüht wie die Palme (Ps 92,13).

Heilig und liebenswert ist dieses Fest, meine Zuhörer, heilig und ehrwürdig die Kirche, die dem heiligen und liebenswerten Patriarchen geweiht ist. Heiliger Josef, „ich weiß nicht, mit welchem Lobpreis ich dich ehren soll, denn du hast auf deinen Armen getragen, den die Himmel nicht zu fassen vermochten“ (Brevier). Der erste Lobpreis, den die Kirche heute in der Meßfeier ausspricht und singt, lautet: Der Gerechte blüht wie die Palme. Ihn habe ich zum Gegenstand gewählt, weil er der erste ist, weil er vom Ahnherrn des hl. Josef stammt, vor allem aber, weil er mir reichen Stoff bietet, von der ganz heiligen Ehe Josefs und Marias zu sprechen und von der ganz heiligen Demut, durch die er seine hervorragenden Vorzüge und Tugenden verbarg. Das werden die zwei Punkte dieser Predigt sein; ich werde sie schließen mit der Bitte um das Wasser, das die Samariterin erbat (Joh 4,15), um auch etwas über das Evangelium des Tages zu sagen. Damit ich aber Nützliches von deinem Vater sage, wende ich mich an dich, Jesus: „Wir bitten dich, Herr, daß uns durch die Verdienste des Bräutigams deiner allerseligsten Mutter Hilfe zukomme, damit uns durch seine Fürbitte geschenkt werde, was unser Vermögen nicht erreicht“ (Oration). Und zu dir, heilige Jungfrau, sage ich: Ave Maria.

Arabien ist durch den günstigen Einfluß des Himmels so fruchtbar an allen Arten aromatischer Bäume, daß man es das Glückliche nennt. Hier gab es, sagten die Alten, jenen überaus bewundernswerten und so seltenen Vogel, daß er einmalig ist, den man Phönix nennt. Nun wird er nach Ablauf mehrerer Jahrhunderte so schwach und alt, sagt man, daß er kaum noch fliegen kann und ihm dann sein Leben so hinfällig erscheint, daß er nur mehr durch den Tod zu leben hoffen kann. Daher sammelt er aromatisches Holz, macht einen Holzstoß, etc. Hernach fliegt er wieder, lebt munter und fröhlich; in einer ganz lebendigen Jugend überlebt er dann eine neue Reihe von Jahrhunderten, etc. Das ist der Bericht der Alten, uzw. nicht nur der profanen, sondern auch der christlichen Schriftsteller, des hl. Basilius, des hl. Ambrosius und vieler anderer.

Es ist gewiß wahr, meine teuersten Zuhörer: wenn der Sünder in seiner Bosheit alt geworden ist, muß er sich einen Holzstoß errichten und ein Feuer entfachen, das ihn in Asche verwandelt und zu einem Wurm der Buße werden läßt. Dann gelangt er von diesem Zustand zur Gerechtigkeit, und wie ein zweiter Phönix fliegt er, ist munter, und man kann sagen, er bringt das Opfer der Gerechtigkeit dar. Ps 4,6; 116,17: Ich will das Opfer der Gerechtigkeit darbringen. Ps 43,4: Ich will hintreten zum Altar Gottes, zu Gott, der meine Jugend froh macht.

Doch warum sage ich das? Deshalb, meine teuersten Zuhörer, weil Tertullian (Von der Auferstehung des Fleisches) unseren Vers und den Vergleich so verstanden hat: Der Gerechte wird blühen wie die Palme. In der Fassung der Septuaginta fand er nämlich das Wort Phönix: Der Gerechte wird aufblühen wie der Phönix. Daher sagte er: Wenn der Sünder zur vollkommenen Sinnesänderung und Buße gelangt ist, dann wird er ganz verjüngt und wie neugeboren in der Gnade.

Aber obwohl das Ansehen dieses großen Mannes viel Achtung verdient für das, was er mit großer Klugheit gesagt hat, müssen wir uns doch an die gewöhnliche Fassung halten, die von der heiligen Kirche kanonisiert ist, die in sich gerechtfertigt ist (Ps 19,10). Obwohl Phönix im Griechischen den seltenen und wundervollen Vogel bedeutet, von dem wir gesprochen haben, bedeutet das Wort tatsächlich auch Palme. Die Palme ist der Phönix der Bäume, wie der Phönix die Palme der Vögel ist. Beide haben viel Ähnlichkeit miteinander, abgesehen davon, daß die Palme nicht so selten ist wie der Phönix und der Phönix nicht so fruchtbar wie die Palme.

Sagen wir also mit David: Der Gerechte wird blühen wie die Palme,und sprechen wir von der wahren Palme. Denn wer sieht nicht, daß sein Vergleich mit den Bäumen von der Palme und von der Zeder gilt? Wie die Zeder, und dann: er wird blühen, und gepflanzt, etc. (Ps 92,13.14).

Nun gibt es zahllose Vergleichspunkte zwischen der Palme und dem Gerechten. Die Palme ist der Fürst unter den Bäumen, der Gerechte unter den Menschen. Die Palme ist immer grün, sie wächst in die Höhe und bleibt auf dem Boden stets klein und schlank; sie ist ganz stark und erträgt Lasten; sie trägt ganz vorzügliche Früchte. Doch mir dünkt, das ist allen Gerechten gemeinsam, trifft aber in besonderem und größerem Maß auf den glorreichen hl. Josef zu. Deshalb habe ich mein Augenmerk auf die bewundernswerten und seltenen Eigenschaften dieses Baumes gerichtet, die vergleichsweise ganz einmalig auf den hl. Josef zutreffen.

Die erste: Es gibt zwei Arten von Palmen; die einen sind männlich, wir können sie Palmbäume nennen; die anderen weiblich, sie sollen den Namen Palme behalten. Und das ist das Wunderbare: man vermählt die Palmen, um sie fruchtbar zu machen, und ihre Vermählung ist ganz jungfräulich und rein, heilig und unbefleckt. Lege die Schilderung (nach Plinius) so anschaulich wie möglich dar. O Gott, ihr seht schon das meiste, was ich euch sagen will, aber es ist angebracht, daß ich es für die Einfachen erläutere. Mt 1,18: Als die Mutter Jesu, Maria, mit Josef vermählt war, ehe sie zusammenkamen, etc. Nein, nicht der Palmbaum befruchtet die Palme, vielmehr befruchtet die Sonne sie. Vielleicht wollte die Natur diese Vorgangsweise nur einhalten, um uns durch dieses Gleichnis zum Verständnis dessen zu führen, was wir nun sagen. Es ist der Heilige Geist, der die seligste Jungfrau fruchtbar macht. Lk 1,35: Der Heilige Geist wird auf dich herabkommen und die Kraft des Allerhöchsten, etc. Mt 1,20: Was aus ihr geboren wird, stammt vom Heiligen Geist. Der Heilige Geist wollte aber die Vorgangsweise einhalten, daß die seligste Jungfrau nur im Stand und im Schatten der Ehe (den Sohn Gottes) empfing, in einer ganz und gar jungfräulichen Ehe, die „die Jungfräulichkeit Marias nicht beeinträchtigte, sondern heiligte“ (Missale); und es erhöht den Rang des hl. Josef wunderbar, daß er der wirkliche Gemahl einer so heiligen Braut ist. Hld 8,8f: Unsere Schwester ist klein und hat noch keine Brüste. Was werden wir mit unserer Schwester machen an dem Tag, da man um sie wirbt? Ist sie eine Mauer, so wollen wir silberne Bollwerke bauen; ist sie ein Tor, dann wollen wir es mit Zederngetäfel bewehren. Josef war daher der Wächter ihrer Jungfräulichkeit. Hld 7,2: Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, von Lilien eingesäumt. „Tempelwächter des Heiligen Geistes“ nennt Tertullian die Keuschheit. Aus dieser Ehe ergibt sich aber ein zweiter Vorzug des hl. Josef: Obwohl er nicht der natürliche Vater Christi des Herrn ist, ist er doch mehr als sein Nährvater, mehr als ein Oheim. Obwohl Christus nicht das Kind Josefs ist, ist er doch sein Sohn; er ist nicht sein Kind, aber er ist ein Sohn, der ihm gehört. Wenn die Taube eine Dattel trägt und über dem Garten fallen läßt, dann gehört die Palme, die aus ihr wächst, dem Eigentümer des Gartens. Daher wird er blühen wie die Palme: der Palmbaum blüht, d. h. er trägt Frucht in der Palme.

Hld 5,11: Seine Haare gleichen den Kronen der Palmen, schwarz wie der Rabe. Die schwarzen Kronen tragen weiße Blüten. Trage den Bericht (Plinius) vor. Der Gerechte wird blühen wie die Palme. Das gilt zwar für alle, am meisten aber für den hl. Josef, der alle Tugenden, die ihn zum Gerechten machten, durch die Demut verbarg. Daher war er zu seiner Zeit ein unbekannter Mann. Kol 3,3: Ihr seid gestorben und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott. Welche Demut offenbart doch das heutige Evangelium! (Mt 1,18-21).


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