Zum Freitag der 4. Fastenwoche

(Entwurf) Chambéry, 06. April 1612 (OEA VIII,96-99; DASal 9,155-156)

Herr, den du liebst, der ist krank (Joh 11,3)

Kurzes Gebet. Als Demosthenes einen Schwätzer hörte, sagte er: Wenn du viel verstündest, würdest du nicht viel reden. Je höher die Engel im Rang, desto umfassender ist ihre Einsicht. Mit einem einzigen Wort schafft Gott alles (Ps 33,6.9). Die beste Art zu beten ist, mit wenig Worten beten, aber nicht zu wenig. Ex 14,15: Was schreist du zu mir? Deshalb schwieg er. Ps 10,17: Das Verlangen der Armen erhörte der Herr; die Bereitschaft ihres Herzens hat dein Ohr vernommen. Wenn du nicht erhört wirst, dann deshalb, weil du entweder nicht arm bist oder weil du nicht die Bereitschaft des Herzens hast. Ps 27,13: Mein Herz hat zu dir gesprochen; mein Auge hat dich gesucht. Dein Angesicht, Herr, will ich suchen. Wie die Augen der Diener auf die Hände ihrer Herren gerichtet sind ... Ps 123,2.1: Zu dir habe ich meine Augen erhoben, der du im Himmel wohnst. Ps 119,82: Nach deinem Spruch schmachten meine Augen: wann wirst du mich trösten? Schon durch den Blick sprechen wir.

Man muß also viel beten, aber nicht mit vielen Worten. Die Väter führen Hanna als Beispiel an: Als sie ihre Gebete vor dem Herrn vervielfachte, geschah es, daß Eli ihren Mund beobachtete (1 Sam 1,12). So unterbreiten auch diese Frauen (von Betanien) mit wenigen Worten ihre Nöte. Vortrefflich ist die Geschichte 2 Kön 19,14: Rabschake oder der König schickte einen Brief an Hiskija; der stieg zum Haus des Herrn hinauf, breitete den Brief vor dem Herrn aus ... und von den Assyrern wurden 185 000 getötet (19,35). Tu desgleichen (Lk 10,37). Gott gab uns den Geist seines Sohnes, der in unseren Herzen ruft: Abba, Vater (Gal 4,6). Der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern (Röm 8,26).

Beachte, daß Jesus Marta, ihre Schwester Maria und Lazarus liebte. Deshalb: Unser Freund Lazarus schläft; aber ich will hingehen (Joh 11,5. 11). Gewiß sagte der Blinde, von dem wir vorgestern sprachen: Wir wissen, daß Gott Sünder nicht erhört (Joh 9,31). Auf diesen Satz gibt es drei Antworten: 1. Der Blinde hat damit eine blinde Ansicht ausgesprochen. 2. Er hat es verstanden von der Erlangung von Wundern als Bestätigung der eigenen Heiligkeit. Die dritte Antwort unterscheidet: es gibt Gerechte, es gibt Sünder und es gibt Bußfertige. Die Bußfertigen erhört er. Hier war aber doch eine Büßerin und eine Gerechte.

Seht jedoch das schönste Gebet: Den du liebst, der ist krank. Wir beschwören Christus unter Berufung auf zweierlei: auf unser Elend und auf die Liebe oder Barmherzigkeit Gottes. Gott braucht in der Tat unser Elend. Ps 6,2: Erbarme dich meiner, denn ich bin schwach. Und unser Elend braucht die Barmherzigkeit Gottes. Ps 84,6: Glücklich der Mann, dem Hilfe von dir kommt; er bereitet sein Herz für den Aufstieg. Denn geben ist seliger als nehmen (Apg 20,35). Das Kind und die Amme. „Möchte ich dich erkennen, daß ich mich erkenne“ (Augustinus). „Wer bist du und wer bin ich?“ (Augustinus und Franz von Assisi). Ps 57,1: Erbarme dich meiner, erbarme dich meiner, denn auf dich vertraut meine Seele. Ambrosius: Dem Blinden wird Lehm auf die Augen gestrichen, damit er sich erinnere, daß er Staub ist; die Blindheit des Geistes ist nämlich zumeist Stolz. Dasselbe verdeutlicht Lazarus, der uns entgegenkommt. Daher wird dem Bischof von Laodizea gesagt: Bestreiche deine Augen mit Salbe (Offb 3,18).

Christus kam und weinte mit den Weinenden (Joh 11,35; Röm 12,15). O kostbare Tränen! Hld 7,4: Deine Augen sind wie die Teiche von Heschbon. Die Augen sind im Tor oder im Fenster; durch sie können wir in das Innere des Hauses sehen. Deshalb sagten sie auch (Joh 11,36): Seht, wie er ihn liebte. Sie sahen seine Liebe. So sagen wir, wenn wir Wasser vom Rosenstrauch träufeln sehen, daß er Feuer sei. Sie sind im Tor, d. h. in Christus, dem Tor der Tochter des Volkes (Hld7,5), d. h. der Kirche. Heschbon bedeutet Gürtel des Schmerzes, Zone des Schmerzes, da Gott sich mit Schmerz gürtete. In Heschbon sind die Augen voll Tränen, weil Gott den Schmerz auf sich nimmt und sich mit Gedanken gürtet, die Tränen hervorrufen.

(Der Herr weint): 1. als Kind, da er die Welt erblickt (vgl. Weish7,3); 2. da er auf Jerusalem blickt, das der Zerstörung geweiht ist (Lk19,41); 3. jetzt aus Liebe; 4. da er den Geist aufgibt, laut rufend und unter Tränen (Mt 27,50; Hebr 5,7).


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