Zum Sonntag Quinquagesima
Annecy, 05. Februar 1595 (OEA VII,231-239; DASal 9,61-66)
Siehe, wir ziehen nach Jerusalem hinauf, und alles wird in Erfüllung gehen, was von den Propheten über den Menschensohn gesagt wurde: er wird den Heiden ausgeliefert, verspottet, mißhandelt und angespien werden: nachdem sie ihn gegeißelt haben, werden sie ihn töten, und am dritten Tag wird er auferstehen (Lk 18,31-33)
Wenn ein Fürst die Eroberung einer Stadt unternimmt oder einen bedeutenden Sieg sicher erwartet, hört man ihn bei jeder Gelegenheit von der Schlacht reden. Auch wir sprechen unaufhörlich von dem, was wir erwarten und wünschen. Das könnten die Reisenden bestätigen, die irgend-eine Stadt erreichen wollen und jeden, den sie treffen, fragen, wie weit der Weg dahin ist. So machte es auch Unser Herr, der sehnlichst danach verlangte, das Werk unserer Erlösung zu vollenden. Als die Zeit seiner Passion nahte, sprach er darüber zu seinen Aposteln und sagte sie an mehreren Stellen voraus, besonders in dem Abschnitt des Evangeliums, den unsere Mutter Kirche uns heute vorlegt zur Erhaltung unserer Seelen. Hier spricht Unser Herr als großer Feldherr mit seinen Aposteln vom Sieg, den er über die Sünde und ihre Verbündeten erringen sollte; doch zuvor spricht er von dem harten Kampf seiner Passion, was die Apostel zu der Zeit nicht verstehen (Lk 18,34). Damit wir es nun verstehen können, rufen wir den Heiligen Geist um seinen Beistand an. Ave Maria.
Die Braut im Hohelied spricht (1,12) von ihrem vielgelieb-ten Erlöser und sagt: Mein Vielgeliebter ist wie ein Myrrhenbüschel für mich; er ruht an meinem Busen. Diese Braut, liebe Christen, ist entweder die Kirche oder die fromme Seele in der Kirche. Wie dem auch sei, mit diesen Worten, die sie durch den weisen Salomo ausspricht, zeigt sie, daß ihr Unser Herr, der wahre Bräutigam der Seele und der Kirche, stets im Gedächtnis ist als der am meisten Geliebte von allen Geliebten und der Liebenswerteste von allen Liebenswerten. Ihr wißt, daß die Freundschaft der Todfeind des Vergessens ist. Wenn die Alten sie malten, schrieben sie ihr als Wahlspruch auf ihre Kleider: „Winter und Sommer, fern und nahe, Tod und Leben“, als vergäße sie weder im Glück und Unglück, noch fern und nahe, im Leben und im Tod.
Die Braut sagt aber nicht nur, daß sie ihn stets im Gedächtnis haben werde, an ihrem Busen, an ihrer Brust, in ihrem Herzen, sondern als einen duftenden Strauß, um zu zeigen, daß sie in diesem Gedenken großen Trost findet; und nicht nur als einen Strauß, sondern als Myrrhenstrauß. Der Duft der Myrrhe ist sehr süß, ihr Saft aber ist sehr bitter. Die liebe Braut sagt also, daß ihr Freund für sie wie ein Myrrhenbüschel auf ihrem Herzen ist, um zu zeigen, daß sie stets der Bitterkeit seiner Passion gedenkt: Ein Myrrhenbüschel ... Das spricht auch der königliche Prophet David (Ps 45,9f) besonders fein aus: Myrrhe, Aloe und Kassia duften aus deinen Kleidern; mit ihnen ergötzen dich Königstöchter in deiner Herrlichkeit. Der Prophet spricht nämlich zum Messias und sagt zu ihm: Die Myrrhe und deren Tropfen und Kassia, das heißt der Duft dieser kostbaren Flüssigkeiten, entströmt deinen Kleidern. Was sind seine Kleider anders als sein Leib und seine Seele, wie der Apostel (Phil 2,7) sagt: Er nahm Knechtsgestalt an, wurde den Menschen ähnlich und im Äußeren als Mensch erfunden. Und diesem Leib und dieser Seele entströmt nur der Duft der Myrrhe, d. h. große Tröstungen, die aus einer schmerz-lichen Grundlage stammen, nämlich aus der Passion; diese Kleider stammen aus den überaus reinen Elfenbeinpalästen des Himmels und von der glorreichen Jungfrau.
Der Trost der Passion ist also der ständige Duft, den die Heiligen der Kirche wahrnehmen. Das lehrt der hl. Paulus (Hebr 12,3): Betrachtet ihn, der von den Sündern solchen Widerspruch gegen sich erduldet hat,damit ihr nicht müde werdet und nicht euren Mut verliert. Dazu fordert er selbst uns auf: Ihr alle, die ihr des Weges vorübergeht, merkt auf und seht, ob ein Schmerz dem meinen gleicht (Klgl 1,12). Das hat die Kirche, die wahre Braut Unseres Herrn, bewogen, sich auf jede Weise zu bemühen, bei ihren Kindern und Schülern das Andenken an die Passion unseres Herrn und Meisters lebendig zu erhalten; deshalb legt sie uns unter anderem heute dieses Evangelium vor. Sie weiht diesem Gedenken die ganze Fastenzeit, sie vergegenwärtigt es im Meßopfer, sie spricht jedesmal davon und lehrt alle, bei jedem Anlaß das Kreuzzeichen zu machen, um stündlich dieses Gedenken kurz zu erneuern. In ihren Kirchen stellt sie unablässig das Kruzifix vor Augen; sie setzt stets das Zeichen des Kreuzes auf ihre Kirchen, an die Wege, über alle ihre Übungen. Und wahrhaftig, wie könnte sie treffender und kürzer unserem Verstand die Passion Unseres Herrn vor Augen halten?
Deswegen wollte man aber die Kirche tadeln und unsere Gegner behaupten, daß hier ein Aberglaube herrsche. Daher müssen wir ein wenig dabei verweilen, um ihre Begründungen anzusehen, und dürfen nicht meinen, das sei unpassend. Die Gründe, die die Gegner für die wichtigsten gegen den Gebrauch des Kreuzzeichens halten, sind ohne jede Beweis-kraft. Gehen wir dabei der Reihe nach vor, denn es gibt mehrere Streitpunkte zwischen der Kirche und dem Gegner.
Der erste Streitpunkt besteht darin, daß der Gegner sagt, man dürfe das nicht tun, und wenn es solche Handlungen gebe, müsse man sie verhindern und abschaffen. Die Kirche sagt das Gegenteil, und das sind unsere Gründe.
1. Das Gedächtnis der Passion ist nützlich, wie ich gesagt habe und sagen werde. Sagt mir um Gottes willen, warum es nicht ebenso nützlich im Zeichen sein sollte wie im Wort. Wenn es nützlich für die Gläubigen ist, ihnen die Passion Jesu Christi durch Worte in Erinnerung zu rufen, wer sieht dann nicht ein, daß es auch nützlich sein wird, sie ihnen durch Zeichen zu vergegenwärtigen?
2. Unser Herr wird sein Kreuz selbst verherrlichen; warum nicht auch wir? Als Beweis, daß das wahr ist, heißt es bei Matthäus (24,30) unter den übrigen Vorzeichen, die sich am Tag des Gerichtes ereignen werden, daß das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen wird. Welches Zeichen? Ohne Zweifel das Kreuz, meine Brüder. Welches andere Zei-chen sonst, ich bitte euch? Die Fahne dieses Fürsten wird erscheinen, aber daran darf man nicht zweifeln, denn alle Kirchenväter legen die Heilige Schrift so aus. Ich weiß, daß Calvin und alle bei Marlorat Genannten es so auslegen: „Das Zeichen ist der Menschensohn selbst“, der so offenkundig erscheinen und durch das so gegebene Zeichen die Augen aller auf sich lenken wird. Seht doch, wie man mit der Heiligen Schrift umgeht: wenn da ein Zeichen ist, deuten sie es als die Sache selbst; wenn es (Mt 26,26) der Leib heißt, legen sie es als Zeichen aus.
Aber außer diesem Erscheinen des Kreuzes haben wir andere; sie sind zwar nicht in der Heiligen Schrift enthalten, trotzdem aber glaubwürdig. Eusebius berichtet, daß Konstantin der Große das Kreuz sah, wie er selbst erzählt, mit den Worten: „In diesem Zeichen wirst du siegen.“ Dann zur Zeit des Konstans auf dem Ölberg.² Zur Zeit Julians Apostata, der aus Verachtung für die Katholiken den jüdischen Tempel wieder errichten wollte, erschien am Himmel ein silberheller Kreis mit dem Kreuz. Zur Zeit des Arkadius, als man gegen die Perser zog. Zur Zeit des Alfons Albucerque de Bargua, erschien eines in einer Gegend der Inder.
3. Durch die Übung der Kirche seit den ersten Jahrhun-derten. Zeuge ist der hl. Dionysius, im 4., 5. und 6. Buch seiner Hierarchia ecclesiastica, wo er sagt, daß man bei allem das Kreuzzeichen anwendet. Justinus beantwortet die Frage, warum die Christen nach Osten gewendet beten, warum sie sich mit der Rechten mit dem Kreuz bezeichnen und andere segnen: weil man Gott das Bessere geben muß, sagte er. Tertullian sagt, die Christen machten das Kreuzzeichen bei jedem Schritt, „ad omnem progressum“, etc.
Meint ihr nicht, daß wir recht haben, eher der Übung der Kirche im Altertum zu folgen als den Einwänden dieser zuletzt Gekommenen? Doch sagt, welche Gründe bringen sie denn vor?
1. Da das Kreuz für den Herrn schmerzlich war, ist es zu verabscheuen. Wenn aber das Zeichen und das Werkzeug des Leidens, das Unser Herr erduldete, zu verabscheuen ist, dann ist das Leiden selbst und die Passion des Herrn es noch viel mehr. Das Kreuz war nicht in sich schlecht und wurde von Unserem Herrn willig umfangen; durch das Kreuz ist er zu seiner Herrlichkeit und Erhöhung gelangt, wie der hl. Paulus (Phil 2,8f) sagt: Er hat sich selbst ernied-rigt; deshalb wurde er erhöht.
2. Ein Kind wäre verrückt, das Gefallen am Anblick des Galgens hätte, an dem sein Vater erhängt wurde; also denken wir nicht mehr an die Passion. Die Antwort: Wenn aber die Passion Jesu Christi nicht nur eine Strafe ist, sondern ein Opfer, dann ist das Kreuz gewiß nicht nur ein Galgen, sondern ein Altar, auf dem das Werk unserer Erlösung vollzogen wurde. Und in dieser Eigenschaft muß es von allen Gläubigen verehrt werden, muß sein Andenken empfehlenswert, sein Zeichen kostbar sein. Zu bedauern sind jene, die es mit soviel Verachtung und Abscheu ablehnen, denn dadurch geben sie zu erkennen, daß sie keinen Anteil an dem haben, was im Kreuz gewirkt wurde, etc. Und wie kann man einer Meinung sein mit jenen, die sich durch das Kreuz mit Schmach zu bedecken glauben, wenn der hl. Paulus (Gal 6,14) sagt: Ferne sei es von mir, mich zu rühmen, außer im Kreuz Unseres Herrn ...? Und (1 Kor 1,23f): Wir verkünden Christus als den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit, denen aber, die berufen sind, Juden wie Heiden, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Ich habe mich entschlossen, nichts zu kennen außer Jesus Christus, und ihn als den Gekreuzigten (1 Kor 2,2). An die Philipper (3,18): Viele wandeln, wie ich oft gesagt habe, als Feinde des Kreuzes Christi.
Unsere Gegner sagen außerdem, man dürfe dem Kreuz nicht die Ehre erweisen, wie man es tut. Die Kirche sagt: im Gegenteil; seht, warum.
1. Alles, was Gott geweiht ist, verdient geehrt zu werden. Nun, dieses heilige Zeichen ist Gott geweiht, also ...
2. Daß alles, was Gott geweiht ist, geehrt zu werden verdient, beweist die Heilige Schrift, die es gewisser-maßen überhaupt heilig nennt. Warum nennt man den Sonntag heilig? Warum den Schemel seiner Füße (Ps 98,5)? Ex (3,5) heißt es: Zieh deine Schuhe aus, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliges Land. Der Psalmist sagt (Ps 132,2): Erhebt in den Nächten eure Hände zum Heiligtum, d. h. zu Gott Geweihtem; und im Psalm 99,5: Fallt nieder vor dem Schemel seiner Füße, denn er ist heilig. Dieser Schemel ist der Tempel, wie die Chaldäer sagen; er ist die Bundes-lade, wie die Hebräer sagen. Wie dem auch sei, für uns gilt das immer, und daraus ergibt sich schlüssig, daß dieses heilige Zeichen geehrt zu werden verdient, weil es Gott geweiht ist.
3. Aufgrund all des vorher Gesagten; denn heißt es nicht, das Kreuz für uns ehrwürdig machen, wenn Unser Herr es in den Himmel versetzt hat, wenn er es mit so großen Wirkungen gezeigt hat?
4. Weil für uns das Kreuz das Zepter und der Königsthron Unseres Herrn ist. Bei Jesaja (9,6) heißt es: Und seine Herrschaft ruht auf seinen Schultern. Im Psalm 96 (9f): Vor seinem Angesicht erbebe die ganze Erde; kündet den Völkern, daß der Herr regiert. Nach der Septuaginta hieß es, vom Holz, aber nach dem Bericht Justins im Dialog mit Tryphon (§ 73) entfernten die Juden dieses Wort. Wenn also das Kreuz das Zeichen der Macht und Königsherrschaft Unseres Herrn ist, warum, etc. Wenn der Dornbusch, in dem Gott erschien, Ehrfurcht verdiente, etc. Wenn die Bundes-lade, wie es im Psalm 132 (7f) heißt: Ich will eintreten in sein Zelt, ich will anbeten an dem Ort, wo seine Füße standen, etc. (das läßt sich passend abwandeln: ich will den Ort oder den Schemel seiner Füße verehren), warum dann nicht diesen königlichen Thron? Johannes (12,32): Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alles an mich ziehen, gleichsam als Fürst und Herr aller.
5. Wegen der großen Wirkungen, die Gott durch das Kreuzzeichen hervorrufen wollte, vor allem gegen die Dämonen, die es hassen. Das bezeugt Lactanz und Gregor von Nazianz: Er sah bei den Opfern und Auguren die Teufel, wie er gewünscht hatte; er bezeichnete sich mit dem Kreuz, und sie verschwanden. Worauf führen alle diese Erscheinungen hinaus?
6. Weil es in seinem Vorbild, der ehernen Schlange (Num 21,8f) geehrt wurde, bevor es war; warum nicht in seinem Andenken, nachdem es war? Johannes (3,14): Wie Mose die Schlange erhöhte, so muß der Menschensohn erhöht werden.
7. Weil diese Verehrung in der Kirche sehr alt ist. Tertullian antwortete den Heiden, die die Verehrung des Kreuzes angriffen; Konstantin verbot, künftig jemand zu kreuzigen: damit es in Ehren, nicht ein Schrecken sei. Augustinus (Sermo 18 De Verbis). Theodosius verbot, es auf den Boden zu malen. Als Tiberius ein Kreuz am Boden liegen sah, ließ er es aufrichten und sagte: „Mit dem Kreuz des Herrn müssen wir unsere Stirn und Brust bewehren, und wir treten es mit Füßen.“
8. Unsere Vorfahren trugen das Kreuz um den Hals, wie der hl. Gregor von Nazianz von seiner Schwester Macrina bezeugt (Vita). AMEN
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