Zum Sonntag Sexagesima

Annecy, 09. Februar 1597 (OEA VII,306-310; DASal 9,73-76)

Der Same ist das Wort Gottes (Lk 8,11)

Kostbarer und bewunderswerter Same, der vom Himmel genommen ist, in die Erde gelegt wurde und zum Himmel emporsteigt; Same, der aus sich selbst ewige Frucht bringt, aber ein zarter Same, der keinerlei Frucht bringt, wenn er nicht von einem guten Erdreich (Lk 8,8) aufgenommen wird, sondern das Erdreich um so abscheulicher macht, als er bewundernswert und kostbar ist (1 Kor 11,29). Der Same ist das Wort Gottes. Die gleiche Sonne zeigt im Frühling die Schönheit der Gärten, der Felder und Wiesen, der Haine und der lachenden Fluren, enthüllt aber auch die Häßlichkeit der Gossen und Kloaken. Ebenso läßt der gleiche Same, der die Kostbarkeit eines guten Feldes zur Geltung bringt, die Unfruchtbarkeit der anderen erkennen und führt zu deren Geringschätzung. Wie wichtig ist es deshalb, daß der Boden recht bereitet ist, um diesen heiligen Samen aufzunehmen.

Der Same ist das Wort Gottes. Die Frucht ist der Glaube, die Hoffnung, die Liebe und das Heil. Das Erdreich ist unser Herz. O wie wird sich dieses Herz, dieses Erdreich bereitmachen, wenn es bedenkt, wer der ist, der sät. Es wird sehen, daß es der Herr ist: Ein Sämann ging aus, um zu säen. Wenn es bedenkt, in welcher Absicht, wird es sehen, daß er es tut, damit wir Furcht bringen in Geduld (Lk8,15). Wenn es überlegt, wer diesen Samen empfängt, wird es sehen, daß es ein Herz ist, das nichts ist als Erde, Staub und Asche (Gen3,19; 18,27); denn der Sämann versetzt es in Erwartung, das Erdreich in Demut, die Absicht des Säenden in die Tat. Ich will mich bemühen, darüber zu sprechen; es muß aber Gott sein, der spricht, denn es ist sein Same ...

Der Same ist das Wort Gottes. So empfängt also das Erdreich den Samen nicht in der Scheune oder im Hof, sondern der Bauer bringt ihn auf das Feld und streut ihn mit der Hand in bestimmtem Gleichmaß aus. So möchte ich euch zunächst sagen, daß der Same das Wort Gottes ist. Das Wort Gottes muß seiner Natur entsprechend gepredigt, ausgesät und verkündet werden. Wenn es aufgeschrieben wurde, dann nicht, um die Predigt abzuschaffen, sondern vielmehr, um sie anzupassen und zu bereichern. Dies gegen das törichte Gerede einiger, die sagen, man brauche nichts glauben, was nicht geschrieben steht; die Heilige Schrift genüge ohne ein anderes Wort Gottes; jeder könne sie verstehen und hier die Entscheidung seines Glaubens finden. Wenn dem so wäre, wäre der Same nicht das Wort Gottes; denn als Unser Herr dieses Wort sprach, war das Evangelium noch nicht geschrieben, und trotzdem war der Sämann schon ausgegangen, seinen Samen auszustreuen. Es war also nicht die Heilige Schrift, von der gesagt wurde: Der Same ist das Wort Gottes. Wenn das also nicht von der Heiligen Schrift galt und wenn es kein anderes Wort Gottes gäbe als die Heilige Schrift, dann wäre der Same nicht das Wort Gottes. Geben sie überdies nicht zu, daß der Sämann in dieser Parabel Unser Herr ist? Wo aber finden sie, daß Unser Herr je das Evangelium geschrieben hätte?Wenn er also sagt: Der Same ist das Wort Gottes,dann versteht er das vom Wort, das nicht geschrieben ist, aber gepredigt wird.

Wenn ihr das deutlicher verstehen wollt, dann seht zunächst, in welcher Weise dieser Same aufgenommen wird: Das sind jene, sagt er, die das Wort hören und es in gutem Herzen bewahren (Lk 8,15). Wenn jene, auf die man sät, Hörer sind, dann sind diejenigen, die säen, Sprechende. Das Gehör nimmt nur das gesprochene Wort auf, das Auge das geschriebene. Beim hl. Paulus (Röm 10,17) werdet ihr auch finden: Der Glaube kommt vom Hören, das Hören durch das Wort Gottes. An die Korinther (1,23): Wir predigen Christus den Gekreuzigten. Im 1. Thessalonicherbrief (2,13): Das Wort ist Verkündigung Gottes. Im 1. Brief an Timotheus (2,5-7): Ein Gott, ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Jesus Christus, der sich selbst als Lösepreis für alle hingab ... Dafür bin ich als Verkünder und Apostel bestellt. Im 2. Brief an Timotheus (4,2): Verkündige das Wort, dränge, ob gelegen ...; und bei Markus (16,15): Verkündet das Evangelium allen Geschöpfen. Der hl. Philippus begab sich auf Eingebung des Engels auf den Weg, der von Jericho nach Gaza hinabführt, und siehe, ein mächtiger Äthiopier... Er sagte zu Philippus: Tritt heran und schließe dich diesem Wagen an ... (Apg 8,27-29).

In der Tat, warum hätte Unser Herr die anderen als Hirten und Apostel hinterlassen (Eph 4,11), wenn uns nicht sein Wort verkündet werden müßte von jenen, die in seinem Namen und in seinem Geist sprechen?

Aufmerksamkeit

Wenn man nicht verstehen kann, ohne zu hören, und wenn dieses Hören zum Heil notwendig ist, mit welcher Aufmerksamkeit muß man auf das Wort horchen, das nicht ein menschliches Wort ist, sondern Wort Gottes. Denn der zu sündhaften Menschen spricht, sagt ihnen: Nicht ihr seid es, die sprechen, sondern der Geist eures Vaters, der in euch spricht (Mt 10,2). Wer euch hört, der hört mich; wer euch verachtet, der verachtet mich (Lk 10,16). So erachte uns der Mensch als Diener Christi und Ausspender der Geheimnisse Gottes (1 Kor 4,1). Infolgedessen rief Unser Herr nach dem Gleichnis aus: Wer Ohren hat zu hören, der höre (Lk 8,8).

Ich finde im Evangelium, daß Unser Herr sechsmal gerufen hat: 1.Er rief im Tempel und sagte: Ihr kennt mich und wißt, woher ich bin(Joh 7,28). – 2. Wen dürstet, der komme zu mir und trinke (Joh 7,37).3. Lazarus, komm heraus (Joh 11,43). – 4. Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat (Joh 12,44).– 5. Eli, Eli, lema sabachtani: Mein Gott ... (Mt 27,46). – 6. Mit lauter Stimme rufend gab er den Geist auf (Mt 27,50). Und jetzt, zum siebten Mal, rief er aus und sagte: Wer Ohren hat zu hören, der höre, um seine Zuhörer aufmerksam zu machen auf den Vergleich des Wortes Gottes mit dem Samen. Der Same ist das Wort Gottes. Und wie der Same in das Erdreich eindringt und nicht an der Oberfläche bleibt, so muß auch das Wort Gottes, etc. Ich will hören, was Gott der Herr in mir spricht (Ps 85,9). Setze vor deinen Mund Schloß und Riegel (Sir 28,28).Eli zu Samuel: Rede, Herr, dein Diener hört (1 Sam 3,10). So muß die Aufmerksamkeit und Ehrfurcht beschaffen sein.

Demut

Demut und Ehrfurcht, die unendlich wachsen wird, wenn wir bedenken, an wen dieses Wort gerichtet ist. An den Menschen. Was ist der Mensch, daß du ihn beachtest?(Ps 94,3). Er wandelte unter den Menschen (Bar 3,38). Vielfach und auf vielfältige Weise hat Gott einst zu den Vätern in den Propheten gesprochen; zuletzt hat er in diesen Tagen zu uns sündhaften Menschen gesprochen im Sohn (Hebr 1,1f). Lk 10,39: Maria saß zu Füßen des Herrn und hörte auf sein Wort, weil der Same das Wort Gottes ist. Der Same bringt mehr Frucht in Tälern als auf Bergen. So wird es mit dem Regen verglichen, der sich sammelt und in die Täler herabfließt. Ex 32,1f in diesem letzten Hymnus: Hört, ihr Himmel, was ich sage; die Erde vernehme die Worte meines Mundes.Wie Regen verdichte sich meine Lehre, wie Tau fließe meine Rede.Sir 1,5: Quelle der Weisheit ist das Wort Gottes; wer aber aus der Quelle trinken will, muß sich niederbeugen.


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