Zur Profess am Freitag der Pfingstoktav

Annecy, 8. Juni 1618 (OEA IX,149-156; DASal 9,163-169)

Das Fest, das wir in diesen Tagen feiern, ist ein sehr hohes, sowohl wegen seines Alters als auch wegen der großen Geheimnisse, die es enthält und die es uns vor Augen stellt. Ihr wißt vielleicht nicht, daß es von Gott selbst eingesetzt wurde, als die Kinder Israels aus Ägypten auszogen und aus der Knechtschaft befreit wurden. Der Herr ordnete an, daß man aus Dankbarkeit fünfzig Tage nach Ostern das Pfingstfest feierte als Danksagung für eine so große Wohltat. Um es feierlicher zu gestalten, bestimmte er, was an diesem Tag nach seinem Willen geschehen sollte, nämlich daß man im Tempel zwei Brote aus neuem Weizen opferte, zwei Widder, kleine Lämmer und einen Ziegenbock (Lev 23,15-21; Dtn 16,9-12). Er hatte angeordnet, am Osterfest Garben als Erstlingsgabe der Ernte zu opfern (Lev 23,10). Deshalb schnitten die Alten auf ihren Feldern die ersten Ähren, die über die anderen hinausragten, und an Pfingsten opferte man zwei Brote, die aus dem bereits reifen Weizen bereitet waren.

Aber wozu soll das alles dienen, wenn nicht als Einleitung der Predigt, die ich euch darüber halten will? Alle Christen werden bei ihrer Taufe der göttlichen Majestät dargebracht wie die Garben am Osterfest. Pascha bedeutet nichts anderes als Übergang (Ex 12,11); und die Menschen vollziehen bei ihrer Taufe einen sehr glücklichen Übergang, denn sie wechseln von der Tyrannei und Knechtschaft des Teufels über zur Gnade der Annahme als Kinder Gottes (Röm 8,23; Eph 1,5; Kol 1,13). Sie sind wahrhaftig dargebracht als Garben, die zu nichts taugen, wenn sie nicht geschlagen und zerrieben werden, damit das Korn herausfällt, das von Stroh und tausend überflüssigen Dingen umgeben ist. So sind wir nach der Taufe von tausenderlei Neigungen zum Bösen umgeben; es ist aber um vieles schlimmer, wenn wir zu unserem Unglück diesen schlechten Trieben und verderbten Neigungen folgen. Wir nehmen die Gewohnheit des Bösen und der Laster an, als ob es unmöglich wäre, das zu unterlassen, wozu unsere Natur und die Versuchung uns verleiten.

Es gibt in der Tat Leute, die sagen: Es ist wahr, daß ich jähzornig bin, aber was soll ich tun? Das ist meine Veranlagung. Wer sieht nicht die Täuschung der Eigenliebe? Als ob es durch die Güte Gottes nicht in unserer Macht stünde, uns zu überwinden, gegen unsere Neigungen und nach der Vernunft zu leben, die uns lehrt, daß wir nicht auf sie hören dürfen! Eine andere sagt: Es stimmt, daß ich ein wenig eitel bin; aber ich neige dazu, mich zu putzen und Verlangen danach zu haben, daß ich gelobt und geschätzt werde; ich wüßte nicht, was man da tun soll. O Gott, man beachtet nicht, wozu die göttliche Güte zugelassen hat, daß als Folge der Sünde unseres Stammvaters uns nach der Taufe manche schlechten Neigungen geblieben sind, zumal uns in der Taufe die hinreichende Gnade geschenkt wurde, uns zu überwinden. Seine Absicht dabei ist nichts anderes, als uns Gelegenheit zu geben, daß wir auf diese Weise mehr Verdienste erwerben, indem wir mutig daran arbeiten, aus Liebe zu Gott uns selbst zu überwinden.

Dazu empfangen wir, nachdem wir den Gebrauch der Vernunft erlangt haben, das Sakrament der Firmung, durch das wir uns unter das Banner der göttlichen Majestät stellen, um als tapfere Soldaten für die Verherrlichung seines Namens zu kämpfen. Nachdem die Christen auf diese Weise gestärkt sind, bringen sie sich am Pfingstfest als Brote dar, die mit dem neuen Weizen der unverbrüchlichen Vorsätze bereitet sind, die sie gefaßt haben, lieber zu sterben, als Gott freiwillig zu beleidigen. Die Apostel aber haben diese Opfergabe viel vollständiger und vollkommener als irgendein anderer dargebracht, da sie die Vollkommenheit viel vortrefflicher als jeder andere übten. Sie haben sich Unserem Herrn dargebracht als gesegnete Garben zur Osterzeit, d. h. als sie alles verließen, um ihm nachzufolgen (Mt 19,27). Gleichwohl waren sie in der Tat Garben, die von viel Überflüssigem umgeben waren; das sieht man deutlich daran, daß sie Sünden und Unvollkommenheiten begingen, ja sogar ihren guten Meister verließen.

Aber dann, am Pfingstfest, waren sie die vollkommene Opfergabe, da sie nicht mehr nur Garben darbrachten, sondern Brot, das im Feuer der Gottesliebe gebacken ist. So sieht man, daß der Heilige Geist auf sie herabkam in Gestalt feuriger Zungen (Apg 2,3), als wollte er sie zu echten Brandopfern machen, ganz geheiligt und ohne Rückhalt dem Dienst seiner Liebe geweiht; denn dieses heilige Feuer verzehrte in ihnen alles Überflüssige, das sie mit sich selbst am Osterfest dargebracht hatten, d. h. als sie sich entschlossen, Unserem Herrn nachzufolgen.

Ihr wißt, um Brot zu bereiten, muß man das Mehl kneten, es mit Wasser mischen und vermengen und schließlich backen. Bevor der Teig gebacken wird, ist er geschmeidig und leicht zu formen, hernach aber steif, fest und hart. So wurden die Apostel in der Zeit der Passion gemahlen; als sie dann im Abendmahlssaal versammelt waren, wo sie die Ankunft des Heiligen Geistes erwarteten, vermengten sie das Mehl ihrer Entschlüsse mit dem Wasser der Betrübnis und Zerknirschung, weil sie ihren Meister verlassen und ihn auf diese Weise in seinen Ängsten allein gelassen hatten. Da waren sie also noch wie weicher, knetbarer Teig, denn sie hätten ihn von neuem verlassen und seine heilige Liebe verlieren können. Als aber der Heilige Geist in der Gestalt des Feuers kam, machte er sie unwandelbar und unveränderlich in der heiligen Liebe und machte den Teig ihrer Entschlüsse so fest, daß sie diese nie mehr verlassen und verlieren konnten. Das sieht man im weiteren Verlauf ihres Lebens, da sie sich für das Bekenntnis des Glaubens opferten wie kleine Lämmer, die zur Schlachtbank geführt werden (Ps 44, 22; Jes 53,7; Röm 8,36). Sie vollendeten die Opfergabe noch, die Gott am Pfingstfest forderte. Sie opferten sich wie Böcke, ich will sagen, sie verkehrten mit den Sündern und wollten für solche gehalten werden wie die übrigen Menschen (Lk 18,11). Schließlich übten die Apostel die Vollkommenheit nach dem Beispiel, das ihnen ihr Herr und Meister gegeben hatte.

Zu dieser Opfergabe muß ich aber eine Erklärung geben. Die alten Kirchenväter verstanden unter den zwei Broten die Unterscheidung der affektiven und effektiven Liebe. Die anderen sagten, die zwei Brote versinnbildeten unser eigenes Urteil oder den Verstand und unseren eigenen Willen. Meiner Meinung nach ist das die bessere Auslegung, und sie paßt mir besser. Die Widder, die man opfern mußte, bedeuten unsere Einbildungskraft, die kleinen Lämmer unsere Neigungen und der Ziegenbock unsere Keuschheit; durch sie entsagen wir aus Liebe zu Gott allen sinnlichen Freuden, sogar den erlaubten und zulässigen.

Seht also, wie außerordentlich gut die Apostel die Opfergabe in jeder Form der Vollkommenheit darbrachten. Sie unterwarfen ihr Urteil und ihren Willen vollständig durch den Gehorsam. Sie opferten den Widder ihrer Einbildungskraft durch die Armut. Die Welt will uns gewöhnlich glauben machen, daß Reichtum, Ehren und Bequemlichkeit erstrebenswerte Güter seien. Die Apostel entsagten dieser Vorstellung für immer, indem sie die Armut als etwas sehr Schätzenswertes erachteten. Sie opferten die Lämmlein aller Anhänglichkeiten, um künftig keine andere mehr zu haben als die himmlische Liebe. Sie opferten durch die Übung beständiger Keuschheit den Bock ihrer Neigung, die sie zu sinnlichen und hinfälligen Freuden haben könnten. Diese drei Tugenden wurden so geschätzt und als die drei wichtigsten erachtet, um die Vollkommenheit zu erwerben, so daß die ersten Christen sie alle nach dem Vorbild der Apostel übten. Nachdem aber die erste Glut erloschen war, waren es nur noch Bestimmte, die nach dieser evangelischen Vollkommenheit strebten. Da es aber äußerst schwierig war, sich ihr in der Welt zu widmen, verließen jene die Welt, die dieses großmütige Unterfangen wagen wollten, und schlossen sich im Kloster ein.

Damit bin ich nun bei dem Punkt, den ich zu behandeln vorhatte; denn was wir bisher gesagt haben, dient alles nur dazu, um besser zu verstehen, was ich davon ableiten will. Es ist sicher, daß alle Menschen, in welchem Beruf sie auch sein mögen, sich Unserem Herrn weihen und hingeben können und müssen. Aber es ist ein großer Unterschied zwischen der Hingabe derjenigen, die in der Welt bleiben, und jener der Menschen, die sie ganz verlassen, um sich ausschließlich der Übung der göttlichen Liebe zu weihen.

Diese Seelen bringen sich vor allem in der Gestalt von Garben und Ähren dar, umgeben von tausenderlei Einbildungen, Vorstellungen, Leidenschaften und weltlichen Neigungen. Sie sind aber entschlossen, sich unter den Händen des Gehorsams zerreiben und in der Mühle der Abtötung mahlen zu lassen, um Brot zu werden, das geeignet ist, auf den Tisch Unseres Herrn gelegt und ihm am Tag des ewigen Pfingstfestes dargebracht zu werden. Dazu gibt man ihnen ein Probejahr. Man täuscht sie nicht, indem man ihnen etwa Tröstungen verspricht, obwohl die geringste, die sie verkosten, unvergleichlich mehr wert ist als alle zusammen, die die Welt bietet. Man führt sie allmählich ein in die Übung eines beständigen Gehorsams, der Abtötung des Eigenwillens, der Verleugnung des eigenen Urteils. Man spricht zu ihnen nur „von der Abtötung der Sinne und aller menschlichen Neigungen“ (Konst. 44); schließlich läßt man sie erkennen, wie eitel ihre Vorstellungen sind, zu glauben, daß Besitz, Reichtum und Ehren erstrebenswerte Güter seien. Man versucht alle ihre Neigungen umzuwandeln, damit sie nur noch solche für Gott und nach seinem heiligen Willen haben. Schließlich versucht man sie im Verlauf ihres Noviziatsjahres fähig zu machen, daß sie dieses letzte Opfer ihrer selbst darbringen, in dem sie sich durch die Gelübde so eng mit der göttlichen Majestät vereinigen, daß sie sich nie mehr von ihm lossagen können. Dieser Dienst ist wahrhaftig ehrenvoller als die Würde von Königen und Kaisern. Es stimmt, sie unterwerfen alle Fähigkeiten ihrer Seele, alle ihre Wünsche, Neigungen und Leidenschaften, schließlich ihr ganzes Ich dem Gesetz der Vollkommenheit durch die beständige Übung des Gehorsams gegen die Regeln und Konstitutionen ihres Ordens. Aber das ist eine so milde und liebenswerte Unterwerfung, daß sie tausendfach mehr Befriedigung schenkt als die Freiheit der Weltleute, nach ihrem Willen zu leben. Diese Freiheit ist eigentlich eine Tyrannei, weil sie gewöhnlich dazu führt, daß sie tun, wovon ihr Gewissen ihnen sagt, daß man es meiden muß, um Gott gemäß zu leben.

Wenn diese Seelen auf diese Weise vorbereitet sind, wie wir gesagt haben, dann haben sie bereits die Gaben des Heiligen Geistes empfangen (Jes 11,2f). Sie haben die Gabe der Weisheit empfangen, denn sie haben verkostet, wie mild und lieblich der Herr ist (Ps 34,9; 86,5) und wie liebenswert seine Wege sind (Ps 25,10; Spr 3,17), wenn auch hart (Ps 17,4) und rauh nach menschlicher Auffassung. Sie haben die Gabe des Verstandes empfangen, denn sie haben die Grundsätze der evangelischen Vollkommenheit verstanden: Inmitten von Reichtümern haben sie erkannt, wie kostbar die Armut ist; inmitten sinnenhafter Freuden haben sie die Keuschheit und Reinheit erwählt; inmitten von Eigenliebe und Eigenwillen die Selbstverleugnung, um sich dem Gehorsam zu unterwerfen. Sie haben die Gabe des Rates empfangen, denn sie tun nichts nach ihrer eigenen Meinung und Regung, ohne vorher Erleuchtung zu erbitten vom Herrn oder von jenen, die seine Stelle einnehmen. Sie haben die Gabe der Stärke empfangen, um tapfer gegen die Feinde der Ehre Gottes zu kämpfen und um ihren Entschluß zu verwirklichen, sich selbst zu überwinden. Sie haben auch die Gabe der Wissenschaft empfangen, denn sie schätzen das Glück höher, sich Gott ausschließlich hinzugeben, als in der Welt zu bleiben. Schließlich haben sie die Gabe der Frömmigkeit und der Furcht empfangen, denn sie fliehen die Gelegenheiten, die Gottesliebe zu verlieren, denen sie in der Welt begegnen könnten.

Wenn alle diese Gaben den Seelen so eingegossen sind, wie wir eben gesagt haben, dann sind sie auch fest entschlossen, sie zu gebrauchen, indem sie jede andere Lust zurückweisen außer der einen, zu verkosten, wie mild und lieblich der Herr ist und wie köstlich die Wege sind, auf denen man zu ihm gelangt, d. h. auf denen wir uns mit seiner Majestät vereinigen. Sie sind entschlossen, ihren Verstand nie mehr mit der Erwägung irdischer und hinfälliger Dinge zu befassen, sondern mit jener der ewigen Güter und mit der Erkenntnis Gottes und der Selbsterkenntnis. Sie folgen beharrlich den Ratschlägen jener, die Gott ihnen zu ihrer Leitung gegeben hat, und machen sich fügsam, um ihrem Willen zu folgen. Sie sind entschlossen, die Werke starker und hochherziger Seelen zu vollbringen, denn sie erheben keinen geringeren Anspruch, als den höchsten Gipfel der christlichen Vollkommenheit zu erreichen, ohne sich im Guten entmutigen zu lassen; vielmehr stützen sie sich und sichern sie sich die Gunst und Hilfe der göttlichen Güte, die das Werk ihrer Vervollkommnung begonnen hat und vollenden wird (Phil 1,6), indem sie jene unterstützt, die ihr treu sind.

Sie werden sorgsam die Gabe der Wissenschaft gebrauchen, die darin besteht, nach den echten Gütern zu streben und die falschen zurückzuweisen. Mit ihrer Hilfe können sie die einen von den anderen unterscheiden. Sie werden treu die Gabe der Frömmigkeit nützen, indem sie Gott als ihren Vater betrachten und ehren, zumal er will, daß wir mit diesem Namen alles Liebenswerte bezeichnen. Dann werden sie alles tun, was in ihrer Macht steht, um ihm zu gefallen, indem sie die Nächsten wie sich selbst als Kinder Gottes betrachten, folglich als ihre Brüder, um vollkommen jede Form der Ehrerbietung und der Liebesdienste gegen sie zu üben. Schließlich werden sie Gott unendlich fürchten, nicht mit einer knechtischen Furcht, sondern mit einer Furcht, die aus der Liebe zu ihm hervorgeht; sie fürchtet nicht nur, ihn zu beleidigen, sondern auch, ihm nicht genug zu gefallen. Diese liebende Furcht wird ihnen als Ansporn dienen, um jeden Tag mehr in der heiligen Liebe voranzukommen.

Aber sagt mir bitte, was fehlt diesen glücklichen Seelen noch, die sich so bereitgemacht haben, um sich vollständig und ohne Rückhalt dem Dienst der heiligen Liebe zu weihen? Einzig, daß der Heilige Geist, der ihnen schon seine Gaben verliehen hat, jetzt in der Gestalt des Feuers auf ihre Opfergabe herabkommt, um sie zu verzehren oder, um besser unserer ersten Auslegung zu entsprechen, um die Brote zu backen, die sie geknetet haben, da sie ganz bereit sind, in den Ofen gelegt zu werden. Der Teig wurde während ihres Noviziatsjahres bereitet entsprechend den Entschlüssen, die sie gefaßt hatten, sich zerreiben und mahlen zu lassen, sowohl durch den heiligen Gehorsam wie durch die Abtötung ihres eigenen Urteils und Willens; sie sind ja die zwei Brote, die Unser Herr von den Ordensleuten fordert. Diese Seelen sind auch entschlossen, ihre Vorstellung und Einbildungskraft zu unterwerfen, die einem Widder gleich zwischen den irdischen Dingen hin- und hergeht; ebenso haben sie alle ihre Wünsche auf einen beschränkt, auf den nach Gott.

In Verbindung mit den Gelübden, die sie gleich ablegen werden, durch die sie sich für den Rest ihres Lebens zur Übung dessen verpflichten, was wir eben gesagt haben, sind diese ersten Entschlüsse das heilige Brot, das gebacken, gefestigt, haltbar und unveränderlich gemacht werden muß durch das heilige Feuer des Heiligen Geistes, die Liebe unserer Seelen. Dann wird die göttliche Majestät an ihm ihr Verlangen stillen wie an einem köstlichen Gericht beim Festmahl der Ewigkeit. Als Vergeltung wird sie euer Verlangen sättigen mit ihrem göttlichen Wesen; das ist die einzige Speise, die ewige Befriedigung der Glückseligkeit, zu der uns alle seine erhabene Güte zu seiner Verherrlichung führen möge. Amen.


nach oben | Übersicht Salesianische Predigten | Übersicht Franz von Sales-Predigten