Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
Ausgabe Januar / Februar 2004
Lebkuchen- Herz
Maria Lang
Heute war wieder ein schrecklicher Tag, die Kunden im Supermarkt waren
unhöflich, meiner Chefin arbeite ich immer noch zu langsam –
dabei wäre der Job ohne die Schikanen dieser Frau ja wirklich o.k.
– und dann ist auch noch mein Ex mit seiner neuen Flamme aufgetaucht,
das scheint sein neues Hobby zu sein ...
Düstere Gedanken
Düster starre ich in ein Glas mit tiefrotem Burgunder, mit dem ich
meinen Frust abzutöten versuche. Meine Gedanken kreisen über
den letzten Wochen und ich finde, dass das Leben es wirklich nicht gut
mit mir meint.
Ich, das ist Lisa Meier, 25 Jahre alt, ledig und seit zwei Wochen wieder
Single, gelernte Bankkauffrau, aber seit einem halben Jahr Angestellte
in einem Supermarkt drei Straßen weiter von dem Betonbunker, in
dem ich in einer 32-Quadratmeter Mietwohnung zusammen mit zwei Goldfischen
wohne.
Eigentlich hatte ja dieser Morgen richtig vielversprechend angefangen,
strahlender Sonnenschein, blauer Herbsthimmel, Wind der mit raschelnden
bunten Blättern spielt, aber ...
Wieder versinke ich in meinen düsteren Gedanken und brüte über
mein Schicksal ...
Aufgeweckt
Komm mit mir, Elisabeth, ich möchte dir etwas zeigen!
Vor mir steht eine junge Frau in einer weißen Bluse und einem nachtblauen,
weiten Rock und streckt mir lächelnd ihre Hand entgegen.
Wer sind Sie und wie kommen Sie in meine Wohnung? Und woher kennen Sie
eigentlich meinen Namen? Was wollen Sie von mir und warum sollte ich mit
Ihnen gehen? Wohin wollen Sie mich führen?
Diese Fragen sprudeln aus mir heraus, ich bin sehr erschrocken und verwirrt,
wer ist nur diese Frau und was will sie von mir?!
Komm mit mir, Elisabeth, ich möchte dir etwas zeigen. Hab keine Angst,
ich will dir nichts Böses tun, sondern dir helfen. Vertrau mir!
Was soll ich tun? Gedanken rasen durch meinen Kopf, doch dann mache ich
das wahrscheinlich Verrückteste, was ich mir in dieser Situation
vorstellen kann, ich nicke, stehe auf und ergreife die Hand, die mir diese
Frau entgegenstreckt. Kaum habe ich sie berührt, ergreift uns ein
Sog und zieht uns mit sich. Ich fühle mich leicht, wie eine Feder
im Wind, Farben rasen an uns vorbei, werden klarer, zu Bildern.
Reise in die Vergangenheit
Der Sog ist verschwunden, ohne dass ich es bemerkt hätte, doch finde
ich mich nun auf einmal in einem der Geschäfte wieder, die alle möglichen
Kleinigkeiten und Geschenke verkaufen. Aber es ist für den Valentinstag
dekoriert, überall rosa Plüschherzen und Plastikrosen –
und das im Oktober!
Vorsichtig versuche ich ein dunkelrotes Glasherz zu ergreifen, doch meine
Finger gleiten durch die Oberfläche, als wären sie dünne
Luft. Vor Schreck beginne ich zu kreischen.
Niemand scheint mich gehört zu haben. Wo bin ich und was geschieht
mit mir? Du bist hier nicht mehr als ein Windhauch oder ein Gedanke, die
Menschen können uns weder sehen noch hören, aber wir können
sie belauschen. Doch schau...
Die Frau weist mit ihrem schlanken Finger auf die Eingangstür, die
sich mit einem melodischen Ding Dong öffnet, und ich trete ein, begleitet
von meiner besten Freundin Lena.
Mit weit aufgerissenen Augen starre ich mein neun Monate jüngeres
Selbst an, höre mich mit Lena flüstern und kichern, während
wir beide zwei rosa Plüschherzen für unsere damaligen Freunde
kaufen.
Irgendwie fühle ich mich schwindlig und schwanke, das kann doch nicht
sein, ich kann doch nicht einfach so in die Vergangenheit reisen und mich
selbst beobachten, sicher ist das alles nur ein Traum!
Komm! – Mit diesem Wort ergreift die Frau meine Hand und wir werden
in eine Dunkelheit gezogen, in der es nichts gibt als Schwärze.
Schließe deine Augen.
Von Anfang an geliebt
Sanft schließen die warmen Hände der Fremden meine Lider und
ich sehe Bilder vor meinen Augen, Erinnerungen, so klar, als würde
alles in diesem Moment geschehen.
Da sind meine Eltern, die mich umarmen und küssen, Großeltern,
Verwandte, Freunde, auch mein Ex, und zwischen all den Erinnerungen immer
wieder ein Schatten, wie ein Kreuz. Während diese Bilder vor meinem
inneren Auge vorbeiziehen, höre ich wie von fern die Stimme der Frau:
Du bist liebenswert, auch wenn du dich nun oft nicht so fühlst, dafür
musst du noch nicht einmal etwas Besonderes tun, nur da sein, leben. Einfach
nur leben. Vom ersten Augenblick an, da diese Welt entstand, warst du
für immer geliebt, vom ersten Atemzug an, den du in dieser Welt getan
hast, hat es immer Menschen gegeben, die dich bedingungslos lieben, denn
du bist liebenswert.
Als ich, lange Zeit später, meine Augen öffne, sehe ich, dass
sie mir unbemerkt ein Lebkuchenherz um den Hals gehängt hat, und
ich lese „Du bist liebenswert“ in Zuckerguss geschrieben.
Du musst beginnen, die Menschen zu lieben, die in dein Leben treten ...
Maria Lang ist Studentin
und absolviert zurzeit ein Auslandsjahr in England
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