Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
Ausgabe Mai / Juni 2004
Die Entscheidung
P. Herbert Winklehner OSFS
Am 5. März 2004 wurden es genau 400 Jahre, dass sich der hl.
Franz von Sales und die hl. Johanna Franziska von Chantal zum ersten Mal
begegneten. Aus Anlass dieses Jubiläums berichten wir in diesem LICHT-Jahrgang
ausführlich über die Beziehung dieser beiden Heiligen.
Es war kein Zufall, dass sich Franz von Sales und Johanna Franziska von
Chantal nach ihrer ersten Begegnung in Dijon in der Fastenzeit 1604 bereits
im August des gleichen Jahres erneut trafen. Ort dieser neuerlichen Begegnung
war der Wallfahrtsort Saint Claude. Dorthin reiste Franz von Sales mit
seiner Mutter und seiner jüngsten Schwester Jeanne. Johanna Franziska
wurde von ihren beiden Freundinnen Marguerite Brulart und Rose Bourgeois
de Crepy, der Äbtissin von Puits d’Orbe, begleitet.
Das Zögern
Franz von Sales hatte in den vergangenen Monaten bereits begonnen, Johanna
Franziska von Chantal brieflich einige wesentliche Ratschläge für
ihr Leben zu geben, die Entscheidung allerdings, ihr geistlicher Begleiter
zu werden, zögerte er hinaus. Für diese Entscheidung wollte
er sich ganz sicher sein, dass sie dem Willen Gottes entsprach. Wenn Gott
es will, dann wird er auch entsprechende Zeichen setzen, die ihm dies
deutlich machen.
Dass diese gemeinsame Wallfahrt so schnell zustande kam, war für
Franz von Sales ein deutlicher Hinweis dafür, dass Gott diese Begleitung
gut heißt. Franz von Sales hat Johanna Franziska von Chantal dieses
Gefühl schon in seinem allerers-ten Brief mitgeteilt: „Gott,
so scheint es mir, hat Sie mir gegeben. Das wird mir mit jedem Tag mehr
zur Gewissheit.“
In Saint Claude kam es dann zu eine langen Aussprache der beiden Heiligen,
in der sich Franz von Sales alles berichten ließ, was sich im Innern
der Baronin seit der Fastenzeit zugetragen hatte. Er hörte ihr aufmerksam
zu, äußerte sich jedoch dazu nicht. Gleich nach dem Gespräch
zog er sich zurück und versprach, dass er ihr am nächsten Morgen
seine Entscheidung kund tun werde. Daraufhin verbrachte der Bischof fast
die ganze Nacht im Gebet.
Die Frage ist, warum Franz von Sales bei Johanna Franziska von Chantal
so lange gezögert hatte, in ihre geistliche Begleitung einzuwilligen.
Seit seiner Reise nach Paris im Jahr 1602, wo er im Kreis um Madame Acarie
den geistlichen Aufbruch in Frankreich kennengelernt hatte, war er zutiefst
davon überzeugt, dass geistliche Begleitung in der Seelsorge eine
ganz wichtige Aufgabe darstellt. Bei anderen Gelegenheiten zögerte
er überhaupt nicht, einem Menschen, der ihn darum bat, diese Begleitung
zu gewähren. Bei Johanna Franziska von Chantal jedoch dauerte diese
Entscheidung fast ein halbes Jahr.
Die Gründe seines Zögerns kennen wir nicht mit Sicherheit. Manche
sehen in der Tatsache, dass Johanna Franziska sich bereits an einen geistlichen
Begleiter gebunden hatte, einen Grund dieses Zögerns. Diesem Priester
gegenüber, unter dessen rigorosen und hartherzigen Ratschlägen
Johanna sehr litt, hatte sie vier Gelübde abgelegt, nämlich
1. ihm gehorsam zu sein, 2. niemals einen anderen geistlichen Begleiter
zu wählen, 3. keinem anderen Priester je darüber Mitteilung
zu machen und 4. nur mit ihm über ihr Seelenleben zu sprechen.
Andere wiederum meinen, dass an diesem Zögern klar wird, wie sehr
sich beide Heilige bewusst waren, dass diese Entscheidung ihre ganzes
Leben verändern wird. Eine solche Lebensentscheidung fällt man
eben nicht einfach so. Franz von Sales wollte jedenfalls ganz sicher gehen,
dass diese Entscheidung ganz dem Willen Gottes entsprach und er ließ
sich Zeit, darüber nachzudenken.
Ich nehme den Auftrag an
Am Morgen des 25. August 1604 meinte der Bischof dann zu Johanna Franziska
von Chantal: „Ich hab die ganze Nacht an Ihrer Angelegenheit gearbeitet.
Ohne Zweifel ist es der Wille Gottes, dass ich Ihre geistliche Leitung
übernehme und sie meinen Ratschlägen folgen. Diese ganzen vier
Gelübde, die sie ihrem derzeitigen Seelenführer versprochen
haben, taugen zu nichts anderem, als den Frieden ihres Gewissens zu zerstören.“
Daraufhin überreichte er ihr eine schriftliche Erklärung, in
der er seine Entscheidung zusammenfasste: „Im Namen Gottes nehme
ich den Auftrag zu ihrer geistlichen Führung an und werde mich dafür
mit aller Sorge und Treue einsetzen, soweit ich es vermag und meine anderen
Verpflichtungen es zulassen.“
Gleich nach ihrer Rückkehr von Saint Claude verfasste Johanna Franziska
von Chantal ihrerseits ein schriftliches Versprechen, das sie vor der
Schwarzen Madonna in Notre Dame d’Etang ablegte: „Ewiger Gott,
ich, Johanna Franziska Frémyot, fühle mich unwürdig in
Eurer Gegenwart, aber vertraue auf Eure Güte und verspreche hiermit
dem Bischof von Genf Gehorsam. Ich hoffe, dass Ihr dieses Opfer von mir
annehmen wollt. Helft mir, dass ich es gern und gut vollbringe.“
Diese Erklärung schickte sie an Franz von Sales nach Annecy. Damit
begann eine in der Kirchengeschichte wahrhaft einmalige geistliche Freundschaft,
in der sich zwei Menschen gegenseitig auf ihrem Weg zur Heiligkeit unterstützten.
P. Herbert Winklehner ist Oblate des hl.
Franz von Sales, Chefredakteur der
Zeitschrift LICHT und Leiter des Franz Sales Verlages in Eichstätt,
Bayern.
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