In der Mitte des Lebens
Aus dem Herzen beten
Es ist typisch für die salesianische Spiritualität, dass sie
die Gottesbeziehung als eine Beziehung versteht, die von Herzen kommt.
Eine Hinführung zu einem solchen Gebet von Herz zu Herz von P. Antony
Kolencherry MSFS
Wo steckt unser Herz? Einmal, so heißt es in
einer Legende, beunruhigte die Teufel, dass die Menschen wieder mehr
nach Gott suchten. Die Teufel organisierten eine große Versammlung,
um Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Einer sagte: „Ich werde
Gott auf dem höchsten Gipfel der Berge verstecken, dann kann ihn
kaum jemand erreichen.“ Da sagte der Boss: „Nein, das ist
keine gute Lösung. Es gibt zu viele mutige Bergsteiger.“ Ein
anderer meinte: „Verstecke Gott in den Tiefen des Meeres. Da
kann ihn keiner erreichen.“ Der Boss erwiderte: „Keine
gute Lösung! Denn es gibt moderne Techniken, die bis in die tiefsten
Tiefen vordringen.“ Da kam der Satan und sagte: „Ich
werde Gott in den Herzen der Menschen verstecken. Dort wird ihn keiner
suchen!“
Wo steckt mein Herz? Unsere Herzen sind voller Fragen, Ängste, Hoffnungen,
Enttäuschungen und Rätsel.
Ich weiß nicht immer, warum und weshalb – aber Gott weiß alles. Öffne
dein Herz für Ihn. Er ist in uns, im Innersten des Seins. Harre
aus, bis du Ihn in deinem Herzen entdeckst.
Vergiss aber nicht das Wichtigste: Entdecke das Wunder von Weihnachten!
Denn nur weil Jesus Christus als Mensch für uns auf die Erde kam,
können wir überhaupt Weihnachten feiern.
Die Geschichte von Richard Wurmbrand
Jedes Volk hat beeindruckende Persönlichkeiten hervorgebracht.
Heute möchte ich einmal keine Gedichte, sondern eine kleine Geschichte
eines großen Rumänen zitieren.
Richard Wurmbrand war lutherischer Pfarrer, wurde 1909 in Bukarest in
einer deutsch-jüdischen Familie geboren. Er gehörte also gleich
zwei Minderheiten an, der deutschen und der jüdischen. Mit 16 war
er glühender Atheist und Kommunist, brachte es als gerissener Geschäftsmann
zu Wohlstand. Später lernte er das Neue Testament kennen und verbrachte
insgesamt 14 Jahre in den Kerkern der Kommunisten. Er hat viele Bücher
geschrieben, u.a. eine wunderschöne Geschichte:
Meine erste Begegnung mit Jesus
Da ich von nicht praktizierenden jüdischen Eltern aufgezogen wurde,
hörte ich in meiner Kindheit weder ein schlechtes noch ein gutes
Wort über Jesus. Er war mir einfach unbekannt. Eines Tages, als
ich mit einem anderen Burschen auf dem Weg nach Hause war, blieb er vor
einer Kirche stehen und sagte: „Warte einen Moment auf mich. Mein
Vater hat mich gebeten, dem Priester etwas zu sagen.“ Ich sagte: „Ich
gehe mit dir hinein.“ Und so überschritt ich zum ersten Mal
die Schwelle einer Kirche.
Ich war tief beeindruckt. Zuerst sah ich das Bild eines Mannes, der gekreuzigt
worden war. Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Mann war, aber er musste
schlecht gewesen sein, sonst hätte man ihm dies nicht angetan. Als
Kind wurde ich oft geprügelt, und wahrscheinlich verdiente ich es
auch. Aber dieser Mann, der überall blutete und mit Nägeln
an einem Kreuz befestigt war – warum?
Ich sah auch das Bild einer wunderschönen jungen Frau, die mich
mit großer Liebe ansah. Einen solchen Ausdruck war ich nicht gewöhnt.
Vielmehr wurde ich ja verachtet, weil ich ein jüdischer Junge war,
dazu noch ärmlich gekleidet, dünn, zart und klein. Ich war
ungeliebt. Aber diese Frau liebte mich. Von diesem Augenblick an liebte
ich sie auch. Ich frage mich heute noch, warum manche Christen niemals
mit Liebe an Maria denken. Die Bibel sagt: „Alle Generationen werden
sie Gesegnete nennen.“ Warum tun wir es nicht?
Die Vernunft sagt mir, dass ich nicht wirklich den Gekreuzigten oder
die Jungfrau gesehen habe, sondern nur eine Darstellung. Zu dieser Zeit
hatte ich den Eindruck, wirkliche Personen zu sehen. Es war eines von
mehreren existentiellen Erlebnissen meines Lebens. Ich war damals acht
oder neun Jahre alt. Der andere Junge sprach mit dem Priester, der dann
zu mir herüberkam und mir den Kopf streichelte. Seine Berührung
tat mir wohl, denn ich war ein ungestreicheltes Kind. Dann fragte er
mich: „Was kann ich für dich tun, kleiner Mann?“
Ich war verlegen, weil ich dachte, dass es mir vielleicht nicht erlaubt
sei, an diesem fremden Ort zu sein. Ich antwortete: „Nichts.“ Er
sagte: „Das kann nicht sein. Ich gehöre zu Jesus, der uns
gelehrt hat, niemanden an uns vorbeigehen zu lassen, ohne ihm etwas Gutes
zu tun. Es ist Sommer und draußen ist es heiß. Ich werde
dir einen Becher kalten Wassers bringen.“ Jesus – was für
ein merkwürdiges Wesen!
Wahrscheinlich hatten alle anderen Menschen, die ich bis dahin getroffen
hatte, seine Lehren nicht gekannt. Sie gaben mir kein Spielzeug, keine
Schokolade. (Wenn andere Kinder Schokolade aßen, leckte ich das
Papier ab, in dem sie eingepackt war.) Jetzt verwandelte Jesus das Wasser,
das ich erhielt, in „Wein“. Ich war überwältigt.
Wie ich viel später herausfand, war es eine orthodoxe Kirche und
der Name des Priesters war Cavane.
Gebet: Herzensdialog
Einmal ging ein junger Mann zu seinem Guru und fragte: „Bitte,
lehre mich beten!“ „Warum?“, fragte der Meister. „Ich
will die Kunst des Gebetes kennen.“ Doch der Guru wollte nicht.
Nach einigen Tagen kam er wieder und bat erneut: „Bitte, lehre
mich beten!“ „Wozu?“, fragte der Guru. „Ich will
Meister des Gebetes werden wie du.“ Der Lehrer antwortete: „Nein,
ich kann nicht.“ Als er einige Zeit später wieder bat: „Bitte,
lehre mich beten. Ich will ein Mann des Gebetes werden.“ „Gut,
ich werde dir helfen!“, sagte der Guru.
Beten ist kein Lippenbekenntnis, Beten ist keine Schaustellung, Beten
ist eine Erfahrung, eine Erfahrung der Tiefe, der Stille, eine persönliche
Erfahrung. Die Kunst des Lernens durch Tun (Learning by doing). Das Wesentliche
dabei ist die innere Sammlung.
Gebet heißt alles gehen lassen. Sein, wie man ist. Inmitten der
Zerstreutheit zur Stille kommen. Zu Herzen. Das Herz des Gebetes ist
die Kunst der inneren Stille. Erhebe das Gebet zu einer Angelegenheit
für den ganzen Tag, das ganze Jahr, das ganze Leben. Das Gebet bedeutet
schließlich, unsere Brüder und Schwestern von ganzem Herzen
zu lieben.
Gebet als Bewegung aus dem Innern
Gebet ist nicht die Geste der Hände, es ist viel mehr die Position
des Herzens. Gebet ist Kommunikation von Herz zu Herz. Aber gleichzeitig
auch eine Herz-zu-Herz-Beziehung. Familien und Gemeinschaften sind dann
lebendig, wenn eine Herz-zu-Herz-Beziehung stattfindet. Menschliche Handlungen
und Reaktionen hängen von diesem Ethos ab: Respekt für den
Oberen, Höflichkeit zu den Freunden, Freundlichkeit im Umgang mit
Untergeordneten. Vor allem aber steht die Liebe über allem. Liebe
kennt keinen Unterschied, keinen Rang, keine Diskriminierung.
Denke an das Gute und Schöne, denke an Güte und Freundlichkeit.
All dies kommt aus dem Herzen. Denn nur mit dem Herzen sieht man gut!
Denke mit dem Herzen, dann wirst du die Menschen verstehen. Alles liegt
in deinem Herzen. Kalil Gibran: Eine Frau sprach zu einem Mann: „Ich
liebe dich“. Und der Mann antwortete: „Es liegt mir sehr
am Herzen, deiner Liebe würdig zu sein.“ Da fragte die Frau: „Du
liebst mich also nicht?“ Der Mann blickte sie nur an und erwiderte
nichts. Da schrie die Frau laut: „Ich hasse dich!“ Der Mann
sprach: „Es liegt mir ebenso am Herzen, deines Hasses würdig
zu sein“. Denn das Herz macht den Verstand hell und klar. Das Schönste
ist den Augen verborgen. Wird das Herz total von Misstrauen und Egoismus
befreit, so ebnet sich der Weg zum Frieden. Da kommt ein bisschen Licht
ins Dunkel. Plötzlich können wir sagen, du bringst Licht ins
Dunkel meines Lebens.
Das Gebet ist keine Bewegung des Körpers oder der Sinne, sondern
des Herzens. Wer betet, dessen Herz ändert sich. Wenn das Herz betet,
wird das Gebet zur Herzenssache. Auch das kleinste Gebet wird vor Gott
groß, wenn es mit dem Herzen verrichtet wird. Nicht nur unsere
Arbeit des Alltags, sondern das ganze Leben können wir durch Herzensgebete
heiligen, durch die Bewegung des Herzens zu Gott hin. Der Gebetstext
wird verinnerlicht und dann beginnt das Herz zu beten, und somit wird
das Gebet zur Bewegung des Herzens.
Das Gebet ist ein zutiefst innerer Akt, es ist eine Erfahrung der Tiefe.
Es macht den Betenden zu einem verinnerlichten Menschen. So wird Gebet
Leben und Leben zum Gebet. Um was wir bitten, dies wird in uns wachsen
und gedeihen.
P. Antony Kolencherry ist Missionar des hl. Franz von Sales. Er lebt
als Pfarrer in Solothurn, Schweiz.
(Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus seinem Buch „Von Herz zu
Herz. Mystische Dialoge“, erschienen 2006 im Franz Sales Verlag.)
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