Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
September / Oktober 2010

 

Aufrichtige Freundschaft
Eine Besinnung über die Herzlichkeit


Nach Franz von Sales ist Herzlichkeit mehr als bloß freundlicher Umgang, sondern vielmehr Begegnung, in der der eine auf den anderen zugeht
und etwas von sich preisgibt. Br. Hans Leidenmühler OSFS hat
über diese Haltung nachgedacht.

Von alters her gilt die Freundschaft als eine erstrebenswerte und lebensnotwendige Form des Miteinanders von Menschen. So wichtig die Freundschaft für ein geglücktes Leben ist, so gefährdet ist sie aber auch. Mit ihrem Theaterstück „Kunst“ hat Yasmina Reza eine eindringliche Tragödie über Freundschaft geschrieben und darüber, was sie gefährdet.

Was trägt eine Freundschaft

Die drei Männer Marc, Serge und Yvan sind seit Jahren eng befreundet. Eines Tages kauft Serge sich ein modernes Kunstwerk („weißes Bild mit weißen Streifen“) von einem berühmten Künstler für horrendes Geld, und er ist stolz darauf. Dieses Bild ist nun Auslöser für einen Streit, der die Freundschaft der drei ziemlich ins Wanken bringt und fast in einer Katastrophe endet.
Was ist eine Freundschaft wert? Was trägt sie und woran kann sie zerbrechen? In einem fulminanten Schauspiel erlebt der Zuschauer, wie durch eine scheinbare Kleinigkeit Freundschaften zerbrechen können und die Brüchigkeit des Lebens zu Tage kommt.
Serge ist stolz auf sein teures Bild. Für seinen Freund Marc ist der Kauf dieses Bildes der größte Unsinn, den Serge da machen konnte. „Du bist größenwahnsinnig“ sagt Marc und beschuldigt ihn, damit die Freundschaft aufs Spiel zu setzen, weil er sich anscheinend so verändert hat. Seinem anderen Freund Yvan zeigt Serge auch das Kunstwerk; Yvan kann ebenfalls mit dem Bild nichts anfangen, hält den Kauf auch für einen Unsinn, aber aus Angst, seinen Freund zu enttäuschen, will er ihm nicht direkt sagen, was er davon hält. Marc bezichtigt Yvan wiederum der Feigheit, weil er Serge nicht seine Meinung sagt. So entwickelt sich eine dramatische Auseinandersetzung und man wundert sich, dass wegen einer Lappalie eine Freundschaft so aufs Spiel gesetzt werden kann.

Kommt, gehen wir essen

Realität? Ist es nicht so, dass manchmal wegen scheinbarer Kleinigkeiten Aggressionen hochkommen und Beziehungen aufs Spiel gesetzt werden? Diese Kleinigkeiten sind nicht die eigentliche Ursache, sondern bloß Auslöser für etwas, was unterschwellig vorhanden ist. Was ist eine Freundschaft wert? Wie viel Enttäuschung verträgt eine Freundschaft? Woran kann sie zerbrechen und was hält sie zusammen? In diesem ganzen Trauerspiel gibt es scheinbar keine Lösung.
Und doch: Als sich der Konflikt unter den dreien immer mehr zuspitzt und der Zuschauer sich wünscht: „Macht doch endlich Schluss und trennt euch!“, kommt der scheinbar banale, aber erlösende Satz von Serge: „Kommt, gehen wir essen!“
So wie er diese Einladung ausspricht, mit einem Augenzwinkern, spürt man richtig die Entspannung, die diese Einladung auslöst. Es muss doch über all den Meinungsverschiedenheiten und Konflikten etwas geben, das eine Freundschaft letztlich zusammenhält und trägt. Es ist die innere Bewegung der Liebe, die trägt, und nicht die Klärung aller Meinungsverschiedenheiten. Diese innere Bewegung der Liebe drückt sich in kleinen, manchmal unscheinbaren Gesten der Zuneigung aus. Das, was letztlich eine Freundschaft trägt, ist vordergründig nichts Großartiges, eher etwas Unscheinbares und Stilles, und wird daher oft leider zu wenig beachtet.

In spürbarer Wärme

Franz von Sales spricht von Herzlichkeit, wenn er über das Wesen der Freundschaft schreibt (vgl. DA 2,65). Herzlichkeit als Wesen aufrichtiger Freundschaft? Das mag etwas zu einfach und bieder klingen, auch ist der Begriff Herzlichkeit heute nicht besonders attraktiv und entspricht kaum dem Zeitgeist, der mehr auf Produktion und Erfolg ausgerichtet ist. Und doch: Herzlichkeit ist eine Qualität, die eine große Wirkung hat in den verschiedenen Alltagssituationen und Alltagsbeziehungen. Bei der Herzlichkeit geht es um Mitmenschlichkeit und um eine Bewegung auf andere Menschen zu. Sie ist mehr als bloße Freundlichkeit. Während Freundlichkeit meist gut gelingt, ist es schwieriger, Herzlichkeit zu zeigen, weil ich dabei ein Stück meiner Seele preisgebe. Herzlichkeit hat immer mit der Überschreitung einer Schwelle zu tun: ich gehe in spürbarer Wärme auf jemanden zu, ohne zu wissen, wie es ankommt und ob es in die gesellschaftlichen Normen passt. Wenn ich herzlich bin, dann öffne ich meine Seele, dann lasse ich den anderen ein wenig in mein Inneres blicken. Herzlichkeit drückt sich in der Mimik aus, etwa in einem begleitenden Lächeln, oder in der Art des Händedrucks oder in dem, wie ich etwas sage. Herzlichkeit ruft Herzlichkeit hervor. Eine herzliche Atmosphäre ist nicht nur angenehm sondern auch ansteckend. Mit Herzlichkeit verbindet man nicht die großen Gefühle, eher die kleinen, aber daraus bestehen ja unser Leben und der Alltag.
Und in Konfliktsituationen? Bei der Herzlichkeit geht es nicht darum, dass ich alle negativen Gefühle verdränge und Konflikte schönrede. Das Problem in Konfliktsituationen ist aber, dass wir uns zu schnell in unser Schneckenhaus zurückzuziehen und das Problem im Raum stehen lassen. In solchen Momenten auf jemanden zugehen, braucht große Überwindung. Ich kann mich zwar „cool“ geben und so meine Unsicherheit überspielen, aber das tut der Freundschaft keinen guten Dienst. Es gibt so etwas wie eine „Mauer des Nein“ in der Beziehung, an der Menschen zerbrechen können. Hier ist der Mut gefragt, auf den anderen zuzugehen, auch auf das Risiko hin, dass ich scheitere. Dazu braucht es ein hohes Maß an Selbstvertrauen. Dieses Wagnis des aufeinander Zugehens hat mit Herzlichkeit zu tun, nämlich: den Mut zu haben, eine Grenze zu überwinden und eine Atmosphäre zu schaffen, in der wir wieder miteinander reden können. Es geht bei der Herzlichkeit schlicht und einfach um einen liebe-vollen Umgang miteinander.

Hans Leidenmühler ist Oblate des hl. Franz von Sales. Er ist Provinzsekretär, Exerzitienleiter, Geistlicher Begleiter und lebt in Wien, Österreich.

Ihre Meinung          zurück           nächster Artikel