Salesianische Zweimonatsschrift
"Licht" September / Oktober 2010 |
Salesianische Zweimonatsschrift "Licht" 2006 Ein denkendes
Herz Wie jedes Jahr verbrachte ich ein Wochenende mit meinem besten Freund. Erschöpft und ausgezehrt von den Anstrengungen unserer beider Leben, lagen wir am Strand eines österreichischen Sees und ließen unserer weißen Haut die Sonne schmecken. In früheren Zeiten war es ein Leichtes über alles Mögliche zu reden, über Familie, Beruf und den Anforderungen, denen wir uns ständig ausgeliefert sahen. Meist nahmen wir uns eine Flasche guten Wein und schon ging die Reise in das andere Leben los. Über uns der strahlend blaue Himmel und das herrliche Grün zittriger Pappelblätter, die beim geringsten Windstoß launig angenehm vom satten Sommer säuselten. „Wenn dir heute jemand sagen würde, dein Leben sei in Kürze zu Ende, was würdest du dir wünschen?“, schoss es mir durch den Kopf und sofort auch aus meinem Mund. Die Antwort war wieder Schweigen. Gesundheit, viel Geld, um meinen Kindern noch eine adäquate Ausbildung zu ermöglichen, einen Liebhaber, eine Weltreise, einen einzigen Wunsch von Gott? Die Antwort kam wenig später so leicht, wie die Blätter miteinander im Wind spielten, von meinem schweigenden Freund: War es das, was ich wollte, ein denkendes Herz? War das die Antwort, die ich hören wollte? Ich muss unweigerlich an das letzte Gespräch mit meiner älteren Schwester denken, die sich immer wieder über mich mokiert, weil ich nichts aus meinem Leben mache, nicht ständig zum Friseur renne, nicht in ihre Kleidergrößen passe. Sie sei glücklich mit ihrem Beruf, glücklich mit ihrem Mann und überhaupt: Warum ich mich noch mit der Kirche, der Bibel und sonst irgendeinem Schmöker befasse, sie wisse genau, was sie täte, sie brauchte das alles nicht, sie sei sich eben genug. Und was in fünf Jahren sei, wäre ihr egal. Wunderbar, dachte ich mir, nur so könnte ich nicht leben. Wir selbst können uns nicht Maßstab sein, wir können uns nicht selbst genügen. Zuhören, Mitdenken, Mitleben, Mitfühlen und Erkennen, sind die Eckpfeiler einer dauerhaften Beziehung zu sich, zu anderen und zu Gott. Die Suche nach einem denkenden Herz, wie mein Freund so treffsicher meinte, ist gleichzeitig auch die Suche nach richtigen Entscheidungen für das eigene, wie auch für das Leben anderer. Wir schwiegen wieder. Nur die Pappelblätter hauchten uns den Sommer in die müden Glieder. Katharina Grabner-Hayden ist verheiratet und hat vier Söhne. |