Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
November / Dezember 2009

 

Pflanzen im bunten Garten
Der Glaube, die Kirche und ich


Davon, dass für das Glaubensleben die Gemeinschaft der Kirche notwendig ist, war der heilige Franz von Sales überzeugt. Seine Gründe dafür schildert und erläutert Thomas Günther

Die „Philothea“ ist die bekannteste Schrift des heiligen Franz von Sales. Ihr vollständiger Titel lautet: „Anleitung zum frommen Leben“. In diesem Werk gibt der Autor viele Anregungen und Tipps, wie ein Christ in seinem Alltag einen gesunden und lebendigen Glauben entfalten kann.

Ein Buch für die Praxis

Die „Philothea“ ist dabei alles andere als eine bloß theoretische Darlegung über den Glauben. Franz von Sales lässt vielmehr seine persönlichen Glaubenserfahrungen in dieses Werk einfließen. Als Bischof von Genf-Annecy war es ihm ein großes Anliegen, Menschen nicht nach einem „fertigen“ Glaubensmuster zu beurteilen, sondern die konkrete Person des Glaubenden zu sehen und dieser eine praktische Hilfestellung für den Glauben im Alltag anzubieten.
Genau darin erkennt Franz von Sales eine der spezifischen Aufgaben seines Bischofsamtes: „Es ist in erster Linie Aufgabe der Bischöfe, die Seelen zur Vollkommenheit zu führen … Sie können daher ihre freien Augenblicke nicht besser verwenden als auf diese Aufgabe“ (Philothea, Vorwort). So kann die „Philothea“ als das schriftstellerische Echo der geistlichen Begleitung von Personen (z. B. Madame de Charmoisy u.a.) durch Franz von Sales betrachtet werden.

Individualität im Glauben

Bereits als junger Missionar im Chablais hatte Franz von Sales den katholischen Glauben gegen die theologischen „Angriffe“ der Calvinisten (Genf) verteidigt. Die Bewahrung der „reinen“ Lehre war ihm ein Herzensanliegen. Für diese Aufgabe hatte er sein ganzes Herzblut eingesetzt. Einige Jahre später wurde sich Bischof Sales aber zunehmend bewusst, dass es nicht nur um die Verteidigung der katholischen Lehre allein gehen dürfe, sondern dass diese von den Gläubigen in existentieller Weise gelebt werden müsse.
Katholische Lehre und religiöse Glaubenspraxis sind für Franz von Sales aufeinander bezogen. Ein Christ kann sich seinen Glauben nicht selbst „konstruieren“, sondern soll sich auf Gottes Wort und die Kirche ausrichten („Glaube kommt vom Hören des Wortes Gottes“).
Umgekehrt zielen das Wort Gottes und die von ihm abgeleitete Lehre der Kirche auf die konkrete Anwendung und Umsetzung im Leben und Handeln der Gläubigen.
Der Glaube darf also weder zu einer lebens-fernen Glaubenslehre noch zu einer inhalts-leeren Glaubenspraxis verkommen.
Glaube (Lehre) muss dem Menschen in seinem konkreten Glaubensalltag eine Hilfe sein.

Ein „bunter“ Garten

Ein lebendiger Glaube richtet sich nach Franz von Sales stets auf die Gemeinschaft mit anderen Gläubigen aus. Für sich allein kann kein Mensch zufriedenstellend glauben. Erst im Miteinander wird christlicher Glaube lebendig und interessant.
Bischof Sales veranschaulicht diese Tatsache mit folgendem Bild: Die Gläubigen sind die „lebendigen Pflanzen“ im Garten der Kirche (Philothea I,3). In diesem Bildvergleich treten zwei wichtige Aspekte christlichen Glaubens hervor: die Kirche bildet als ganze eine Einheit (Garten), in der es eine unfassbare Vielfältigkeit (Pflanzen) gibt.
Franz von Sales versteht die Kirche nicht als eine Monokultur von einförmigen Gewächsen, sondern als einen „bunten“ Garten von einzigartigen Pflanzen. Jeder einzelne Christ ist für sich eine wunderbare und unschätzbar wertvolle Pflanze im Garten der Kirche!

Individuelles und kirchliches Beten

Die Mehrzahl der geistlichen Ratschläge und Anweisungen in der Philothea beziehen sich auf die individuell-persönliche Seite des Glaubens. Franz von Sales möchte, wie bereits angesprochen, dem Menschen in seiner konkreten Glaubenssituation hilfreich zur Seite stehen.
Diese individuell-spirituelle Ausrichtung der „Philothea“ steht aber immer in einem umfassenderen Zusammenhang.
So ist Franz von Sales zutiefst überzeugt, dass der Glaube des einzelnen Menschen nicht bei sich selbst stehen bleiben darf, sondern sich auf die Kirche hin öffnen muss: „Außerdem sind (das sage ich dir ein für allemal) die öffentlichen Gebete der Kirche wertvoller und erhebender als Privatandachten, denn Gott hat es so angeordnet, dass die Gemeinschaft jeder Art von Sonderheit vorgezogen werde … Ferner ist es immer ein wichtiges Werk der Nächstenliebe, sich mit anderen zusammenzutun und mit ihnen nach der Verwirklichung guter Ziele zu streben“ (Philothea II,15).

Kirchlicher Glaube

Die kirchliche Seite des Glaubens tritt für Franz von Sales besonders in folgenden zwei Bereichen zutage: dem Gebet und den Sakramenten. Wer „nur“ in den eigenen Anliegen zu Gott betet, steht in der Gefahr seinen Mitmenschen zu übersehen, der gegebenenfalls auf das Gebet seiner Mitmenschen angewiesen ist.
Beten meint: mein Leben und das Leben der Anderen vor Gott zur Sprache bringen. Christliches Beten ist niemals exklusiv, sondern schließt immer die Sorgen und Nöte meiner Mitmenschen ein.
Wer in seinem Beten die Gemeinschaft der Glaubenden (Kirche) berücksichtigt, entfaltet sich mehr und mehr zu einer unverkennbaren Pflanze im Garten der Kirche. Neben dem Gebet sind es die Sakramente (besonders Heilige Messe und Bußsakrament), in welchen sich die kirchliche Seite des Glaubens zeigt. So verlangt die Feier der Heiligen Messe naturgemäß eine Gemeinschaft von Menschen, die im Hören auf das Wort Gottes miteinander das Brot brechen.
In diesem österlichen Tun werden den Mitfeiernden die Augen geöffnet (Emmaus-Jünger). Auch das Bußsakrament versteht sich nicht als ein individueller privater Akt! Als Vertreter der ganzen Kirche nimmt der Priester das Bekenntnis des Beichtenden an und schenkt diesem im Namen der gesamten Kirche Gottes reiche Barmherzigkeit und Lossprechung.
Wie im menschlichen Leben bedarf es auch im Glauben konkreter Menschen, die einem in Not und Schuld zur Seite stehen.
Für aufgeklärt-erwachsene Christen ist es heute nicht immer einfach, sich zur Kirche zu bekennen. Die menschlich-sündige Seite der Kirche macht es einem nicht leicht, mit ganzem Herzen zu dieser Glaubensgemeinschaft zu stehen.
Eine Opposition zur Kirche oder gar eine Abkehr von ihr wäre aber für Franz von Sales völlig unvorstellbar. Das salesianische Bild von der Kirche als „buntem“ Garten kann für uns eine Hilfe sein, unsere Eigenständigkeit im Glauben (Individualität) bei gleichzeitiger Zugehörigkeit zur Kirche in versöhnten Einklang zu bringen. Das Jubiläumsjahr der „Philothea“ (1609–2009) will uns in Erinnerung rufen: „Wir alle sind Kirche!“

Thomas Günther ist Referent des Caritasverbandes und lebt in Paderborn, Nordrhein-Westfalen


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