Seien wir, was wir sind,
und seien wir es gut
Katharina Grabner-Hayden
Ich bin ein Vollidiot.
Ich könnte jetzt angenehm in einer wohlriechenden Badewanne liegen, den Schaum in die Luft blasen und genüsslich das bunte Seifentreiben auf meiner Haut beobachten. Hirn ausschalten und sich den Sinnen hingeben. Selbstgerecht müsste ich zugeben, ich hätte es mir nach so einem Tag wie heute verdient.
Mein Sohn hat mir heute in der Früh so ganz beiläufig beim Frühstück um 6 Uhr früh erklärt, er habe sich vom Religionsunterricht abgemeldet, was meine Herzfrequenz bereits ohne Kaffee in die Höhe trieb. Er sei ja bereits erwachsen und müsste sich diesen Quatsch einfach nicht mehr anhören. Neben Unterschriften fürs Mitteilungsheft und der Suche nach leeren Heften für den Schulanfang, blieb mir beim Streichen der Schulbrote nichts anderes übrig, als ihm giftige Blicke zuzuwerfen und auf ein längeres Gespräch am Abend hinzuweisen. So ließe ich das bestimmt nicht stehen.
Als die Rasselbande das Haus verließ, blieb ein vor Hunger schreiendes Baby und ein flaues Gefühl zurück, als Mutter vollkommen versagt zu haben.
Der Kleine ist krank, enervierendes Warten beim Kinderarzt, Einkaufen, Strafmandat bei der Polizei, ich stand schon wieder mit einem Reifen auf dem Gehsteig, Kochen. Während des Mittagsschlafes versuche ich ein Gemeindebudget zu überarbeiten, das ich nicht verstehe, heute muss ich meine Argumente gegen neue Straßenvorhaben in unserer Gemeinde vorbringen, was mir auch nicht gelingt. Ich ärgere mich während dieser blöden Funktionärsdiskussionen weniger wegen deren Uneinsicht als über die Sache mit dem Religionsunterricht.
Da erinnere ich mich an einen Spruch, den mir erst kürzlich mein bester Freund auf die Küchenfliesen geschrieben hat und der der allgemeinen Putzwut meiner Mutter noch nicht zum Opfer gefallen ist: Seien wir, was wir sind, und seien wir es gut.
Es ist bereits 22.30 Uhr: Das angedrohte Gespräch steht noch aus und einen LICHT-Artikel, diesen LICHT-Artikel soll ich auch noch bis 24 Uhr abgeben. Ich halte trotzdem inne und bleibe mit meinem Auto in der Dunkelheit stehen. Ich denke an diesen Satz.
Habe nicht ich immer von Freiheit gesprochen, sich entscheiden zu können? War es nicht ich, der die Kinder anhielt, wahrzunehmen, sich nicht mit einer kleinen Welt zufrieden zu geben, sondern nach mehr zu suchen, auch wenn es Eltern oder Umfeld nicht passte? Habe ich sie nicht dazu angeregt, selbständig zu denken, ihre Talente gefördert, um kritisch die Welt zu betrachten? Sie haben bei Tisch dankend angenommen, was anderen nicht gegönnt ist. Sie stehen auf und lassen sich lieber ein blaues Auge schlagen, als Ungerechtigkeiten zu dulden. Sie waren und sind mit uns Eltern auf einem Weg, den immer wieder Gott in den unterschiedlichsten Formen kreuzte. Es waren Momente des Glücks, aber auch der bestürzenden Erkenntnis, dass diese Welt nicht vollkommen, nicht gerecht ist, aber auch gleichzeitig die Hoffnung in sich birgt, mitgestalten und verändern zu können. Ich habe sie ein Stück dieses Weges begleiten können, nun steht vor mir ein junger Mann, der sich seine eigenen Gedanken macht, der sich einem System der Gleichmacherei und des religiösen Dilettantismus nicht hingeben will, der sich sträubt mit seinen jugendlichen achtzehn Jahren Wege einzuschlagen, die ihm andere vorkauen.
Er geht auf seiner eigenen Spur, will Neues erkennen und ich bin mir sicher, er sucht auch Gott. Wollte ich das nicht immer? Er ist aus meiner Spur heraus gebrochen und geht seinen eigenen Weg und weiß sich von Gott begleitet.
So sitze ich im Auto und bin eigentlich sehr glücklich, denn er hat den Geist der Freiheit gerochen. Ich bestehe auch nicht auf ein klärendes Gespräch, sondern erkläre ihm, dass ich ihn verstehe. Nicht, weil ich müde bin und keine Auseinandersetzungen mehr ertragen kann, sondern weil ich überzeugt bin, dass er seine Gottsuche auf einem anderen Weg gehen will. Er ist über meine Einsicht gar nicht erstaunt, weil er mich kennt. Wir sind uns gegenseitig immer Begleiter. Dieser Satz des heiligen Franz von Sales begleitet mich ständig; es sind nicht die Worte, es ist der Geist der Freiheit, der sich in ihnen verbirgt.
Während ich endlich hier am Computer sitze, um meinen LICHT-Artikel zu schreiben, lasse ich die sinnliche Badewanne gedanklich von mir schwimmen und schreibe von und über Gott, meinem ständigen Begleiter.
Ich bezeichne mich auch nicht mehr als einen Vollidioten, ich versuche zu sein, was ich bin, und versuche es immer besser zu tun.
Die Vollidioten würden jetzt wahrscheinlich in der Badewanne liegen.
Aber Morgen ist ja auch noch ein Tag…
Gute Nacht.
Katharina
Grabner-Hayden arbeitet als Unternehmensberaterin,
ist verheiratet
und hat vier Söhne.
Ihre Meinung zurück nächster
Artikel
|