Salesianische Zweimonatsschrift "Das Licht"
Ausgabe 5 - September/Oktober 2000

 

Georg Okon OSFS

Gebetsstätte Frauenkirche

Es war im vergangenen Sommer, als ich während meines Urlaubs meine Schwester zum ersten Mal in ihrer neuen Wohnung besuchte. Wir hatten uns lange Zeit nicht mehr gesehen und so gab es viel zu erzählen. Da sie berufstätig ist und während des Tages bei der Arbeit war, blieb für unsere Gespräche der Abend. Tagsüber hatte ich viel Zeit für mich und unternahm einiges. So wanderte ich durch die Stadt und schaute mir die Sehenswürdigkeiten an. An einem Mittag fuhr ich mit der S-Bahn in die Großstadt München hinein, mitten in die Fußgängerzone.

Befremdender Trubel
Der ganze Trubel, das Hetzen der Menschen mit ihren Einkaufstaschen in den Händen von Kaufhaus zu Kaufhaus: Alles war mir ein wenig fremd. Interessiert schaute ich mir sie an, die Menschenmassen, die grußlos aneinander vorbeigingen. Sie schienen sich nicht zu kennen. Aber ich kannte auch niemanden. Es gab schon Leute, die sich kannten, es waren wenige, die an den Ecken standen und miteinander sprachen. Die "Einheimischen" strebten zielbewusst ihrem Ziel entgegen, die "Touristen", erkennbar an ihrem Rucksack und einem Fotoapparat, hatten anscheinend ein wenig Zeit, sich die Schönheit der Gebäude anzusehen. Auch ich war einer, mit Rucksack und Fotoapparat. Staunend schlenderte ich durch die Straßen und Gassen, überall die Menschenmassen, die aus den Geschäften und Cafés herauskamen.
Auch in den Kirchen war Besichtigung angesagt. Viele gingen hinein, schauten sich alles an und gingen wieder hinaus. Beeindruckt von der Kunst, die dort zu sehen ist, beeindruckt von der Architektur, mit der die Bauleute in der Barockzeit diese Gebäude errichtet haben. Die meisten Menschen gingen durch die Kirche, manche fanden auch Ruhe und Muße, sich in die Bank zusetzen oder zu knien, ein wenig auszuruhen.
"Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen", (Mt 11,28) sagt Jesus. So nahmen einige wenige diese Einladung an, sich für einige Zeit an Gott zu wenden, ihre Sorgen und Nöte ihm anzuvertrauen: den Tod, die Krankheit eines lieben nahestehenden Menschen, auseinandergehende Beziehungen, Ängste vor Prüfungen und Begegnungen …

Besichtigen und Beten
Später kam ich in die Münchener Frauenkirche, die Bischofskirche. Viele Menschen waren dort und bewegten sich wie in einem Museum. Auch ich ging durch die Gänge und an den Wänden entlang, die kunstvoll gestalteten Altäre und Gemälde anschauend. In dieser Kirche war nicht daran zu denken, sich ruhig in die Bank zu setzen, dafür war es zu laut. Ich fühlte mich nicht wohl.
Tags zuvor hatte ich mich wohler gefühlt, als ich im Dom zu Freising allein betrachtend an den Bildern und Altären stehen bleiben konnte. Dort hatte ich meine Ruhe und konnte mich besinnen. Aber hier würde ich nicht zur Ruhe kommen können. Ich ging weiter durch die Frauenkirche. Plötzlich entdeckte ich neben dem Chor eine Seitenkapelle. Am Eingang stand ein Schild mit der Aufschrift: "Für Beter".

Was wollen Sie?
Ich ging in diesen etwas abseits liegenden Raum hinein. Niemand war hier, nur eine Frau kniete in der vorletzten Bank.
Den Kopf nach hinten gebeugt, die Augen über den Wandschmuck schweifend, einen Rucksack auf dem Rücken tragend, schlenderte ich langsam an ihrer Bank vorbei nach vorne. Kaum war ich an ihr vorüber, sprach sie mich an: "Diese Kapelle ist zum Beten da. Was wollen Sie hier?" Ein wenig verwundert über ihre Frage, gab ich ihr zur Antwort: "Beten!", ging weiter, nahm meinen Rucksack vom Rücken und setzte mich vorne in die Bank.
Hier war es wieder ruhig; vom "Besichtigungslärm" aus dem anderen Teil der Kirche drang nur sehr wenig herüber. Hier war ich wieder für mich, hier konnte ich meinen und unseren Gott anbeten, der gegenwärtig im Tabernakel ist, angezeigt durch das ewige Licht, das auf einem Leuchter funkelte. Hier war ich mit meinem Gott allein. Ich konnte mich IHM anheim geben, IHM alles anvertrauen, mit IHM meine Sorgen, Nöte und Freuden besprechen, IHN einfach nur anbeten. Einfach nur da zu sitzen, und da sein vor IHM. IHN auf mich wirken lassen, so wie der einfache Bauer von Ars, der vor dem Tabernakel saß und IHN anschaute und dem es gut tat, dass GOTT ihn anschaute. IHN nur anschauen, da ER mich anschaut, das beruhigte mich.
So hatte ich bald die Frau vergessen, die das Geschehen in der Kapelle im Griff zu haben schien und nur Beter in den geschützten Anbetungsraum hineinließ. Erst als ich die Seitenkapelle verließ, entdeckte ich sie wieder. Sie beobachtete mich; sie nahm ihre Aufpasspflicht also sehr ernst. Wie hätte sie auch erkennen können, dass ich ein Beter bin, da ich im "Touristenoutfit" daherschlenderte?

Eine bleibende Erfahrung
Ich verließ die Kirche und schon befand ich mich wieder in der Fußgängerzone, mitten unter den hetzenden Menschen. Finden sie Ruhe, Muße, Einkehr? Ich machte mich bald auf den Heimweg zu meiner Schwester, um ihr am Abend von meinen Erlebnissen zu erzählen.
Br. Georg Okon ist Oblate des hl. Franz von Sales und arbeitet in der Provinzverwaltung der Deutschen Provinz der Oblaten in Overbach bei Jülich, Nordrhein-Westfalen

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