Salesianische Zweimonatsschrift "Das Licht"
Ausgabe 5 - September/Oktober 2000

 

Katharina Grabner-Hayden

Gebet ist das Atemholen der Seele


Manchmal erinnere ich mich noch mit etwas Schaudern an meine Schulzeiten, an die wöchentlichen Messen und Beichten, die wir absolvieren mussten. Naja, statt Englisch oder Latein nahm man auch diese Zwangsbeglückung in Kauf. Durch die hohe Frequenz der Beichten und der in regelmäßigen Abständen gleichlautenden Sünden beschlossen wir Schülerinnen so etwas wie ein schriftliches Sündenregister anzulegen, damit der Pfarrer im Beichtstuhl uns nicht unserer Eintönigkeit wegen überführte.

Wir wussten sofort: bei Geschwisterstreitigkeiten zwei Vaterunser, bei Streit mit Eltern drei Gegrüßet seist du Maria, und so weiter …
Wie gesagt, wir logen sogar im Beichtstuhl, um der schulischen Pflicht von Englisch und Latein zu entkommen. Wir stellten Buße und Beichte vollkommen ad absurdum. Trotzdem beteten wir ganz inständig und fromm unsere Strafen herunter.
Im Moment des Gebetes wusste ich, Gott würde meine kleine Lüge schon verstehen. Auch er würde lieber in die Kirche gehen, anstatt Englisch und Latein zu pauken.

Lange habe ich in meiner persönlichen Entwicklung gebraucht, ein Gebet als etwas Heilendes, etwas Reinigendes, etwas Persönliches zu empfinden.
Was ist nun ein Gebet? Im engeren Sinn bedeutet Beten die Hinwendung des Menschen zu Gott. Dies kann als Lob-, Bitt- oder Dankgebet in Einsamkeit oder mit der Gemeinschaft geschehen. Es gibt verschiedenste Formen des Gebetes je nach religiöser Ausrichtung und emotionalem Empfinden des Einzelnen.

Im weiteren ist alles Gebet, was man in Gott tut.

Gebet ist das Atemholen der Seele, ist das tiefe In-sich-und-in-den-anderen-Hineinhören, ist das Krafttanken. Ist Verweilen in Stille um sich wieder ins Lot zu bringen, ist Selbstreflexion und gibt Kraft zum Handeln. Ist gedankliches Bindeglied zwischen Gott, unserem Schöpfer und der Welt.
Beten ist die abstrakt gedankliche Zukunftswerkstatt, in der Visionen ohne Grenzen und Gesetze blühen dürfen.
Beten ist ein Vertrautsein mit Gott, ist Beziehungpflegen, ist die Grenzen irdischer Endlichkeit sprengen.

Antoine de Saint-Exupèry beschrieb diesen schwerelosen Zustand während eines Fluges über die Sahara. Im Flug(Gebet) von Punkt A nach B über die existentielle Dürre der Wüste kann man Gott ganz nahe sein, da man sich sicher sein kann, dass irgendwo ein erfrischender Brunnen ist. Dieser Gedanke und dieses Gebet ist die Versöhnung mit sich selbst.

Heute freue ich mich, dass Gott mit mir nicht Englisch und Latein gepaukt hat, sondern mit mir über die Wüste fliegen kann, in der Gewissheit den Brunnen gefunden zu haben.

Katharina Grabner-Hayden ist Betriebswirtin und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Höbenbach, Niederösterreich
Ihre Meinung            zurück             nächster Artikel