Die Beharrlichkeit-
die Tugend des Durchhaltevermögens
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Es gibt eine wunderbare Geschichte des deutschen Schriftstellers Michael Ende (1929-1995) über die Tugend der Beharrlichkeit. Schon der Titel dieser Geschichte verweist auf das Wesen dieser kleinen Tugend: „Tranquilla Trampeltreu“, das heißt: Ruhig und treu, Schritt für Schritt den Weg zum Ziel verfolgen.
1. Die beharrliche Schildkröte
Endes Geschichte handelt von der „beharrlichen Schildkröte“, die eines Tages wie alle anderen Tiere vom Löwen, dem König der Tiere, zu dessen Hochzeit eingeladen wird. Für Tranquilla Trampeltreu ist dies eine besondere Ehre und sie beschließt, die Einladung anzunehmen und auf das Fest zu gehen.
In vierzehn Tagen soll diese Hochzeit stattfinden. Der Weg dorthin ist weit, so weit, dass es für eine Schildkröte mit ihren kurzen Beinen und dem dicken, schweren Panzer schier unmöglich ist, rechtzeitig zum Fest zu gelangen. Tranquilla lässt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Der König hat mich eingeladen, sagt sie sich, und ich werde es schaffen, Schritt für Schritt. „Mein Entschluss steht fest.“
Auf ihrer Reise begegnet sie der Spinne, der Schnecke und der Eidechse. Alle geben ihr auf unterschiedlichste Weise zu verstehen, dass sie als Schildkröte – „der Langsamsten aller Langsamen“ überhaupt keine Chance hat, rechtzeitig zur Hochzeit zu kommen. Tranquilla aber beharrt auf ihrem Entschluss: Ich werde rechtzeitig dort ankommen.
Davon lässt sie sich sogar dann nicht abbringen, als ihr die Raben verkünden, dass die Hochzeit abgesagt wurde, weil der König der Tiere plötzlich verstorben ist. Sie könne also kehrt machen und wieder nach Hause zurückkehren. Entgegen jeder Vernunft trampelt Tranquilla treu trotz allem Schritt für Schritt ihrem Ziel, der Hochzeit des Löwen, entgegen.
Nach vielen, vielen langen Tagen kommt sie schließlich an. Und der Leser ist erstaunt: Die Schildkröte erreicht tatsächlich rechtzeitig die Hochzeit des Löwen. Der Bräutigam ist der Nachfolger des verstorbenen Königs, der nach der vorgeschriebenen Trauerzeit seine Hochzeit feiert. Die Beharrlichkeit der Schildkröte und das Wissen, dass sie der Einladung des Königs trotz aller gegenteiligen Meinungen folgen muss, hat gesiegt.
2. Die Flatterhaftigkeit des Menschen
Für den Kirchenlehrer Franz von Sales ist die Beharrlichkeit eine der vier „bedeutendsten und notwendigsten“ aller kleinen Tugenden, von denen die anderen drei die Demut, die Geduld und der Gleichmut sind. Die Beharrlichkeit, manchmal nennt er sie auch Ausdauer oder Standhaftigkeit, garantiert nämlich, dass einmal gefasste Entscheidungen oder Entschlüsse wirklich in die Tat umgesetzt und auch durchgehalten werden. Ohne Beharrlichkeit hätte also keine Entscheidung einen Sinn, da jeder Entschluss irgendwann auch Schwierigkeiten und Dürrezeiten überwinden können muss. Genau dafür ist die Beharrlichkeit von entscheidender Bedeutung.
Franz von Sales machte in seiner Seelsorge oft die Erfahrung, dass Menschen die besten Vorsätze fassen, kurze Zeit später jedoch schon wieder davon abgehen, nur weil es plötzlich Schwierigkeiten und Widerstände gibt.
„Die Beharrlichkeit“, so können wir in seinen Werken lesen, „ist wegen der Flatterhaftigkeit und Unbeständigkeit des menschlichen Geistes am schwersten zu erfüllen. Denn heute tun wir eine Arbeit gern, morgen können wir sie schon nicht mehr ansehen. Wollten wir allen Einfällen unseres Geistes folgen und wäre dies möglich, ohne Anstoß zu erregen und Schande auf uns zu laden, dann erlebten wir nichts als fortwährende Veränderungen. Heute wäre man Jesuit, morgen Kapuziner und übermorgen wieder auf der Suche nach irgend etwas anderem. Dieser oder jener Ehemann, der sein Leben lang mit seiner Frau in gutem Einvernehmen gelebt hat, hätte sicher ein Dutzend Mal die Frau gewechselt, wenn er gekonnt hätte. Wir würden wahrhaftig noch Vater und Mutter wechseln, wenn es ginge, so sonderbar ist die Unbeständigkeit des menschlichen Geistes“ (DASal 2,141).
Franz von Sales empfiehlt daher allen, dieser „Unbeständigkeit des menschlichen Geistes“ tapfer die Tugend der Beharrlichkeit entgegenzusetzen, also nicht gleich nach der ersten Schwierigkeit seinen einmal gefällten Entschluss sofort wieder aufzugeben oder allen Launen der Umgebung zu folgen.
3. Reizüberflutung
In unsere heutigen modernen Zeit ist es im Grunde nicht anders geworden, im Gegenteil: wir befinden uns geradezu in einem Sammelbecken unterschiedlichster Launen, die die „Flatterhaftigkeit“ des Menschen fördern. Ständig wird Neues produziert und Altes verworfen. Man kann immer nur noch ganz kurz bei einer Sache verharren, weil es ja noch so viele andere Dinge gibt, die man sehen, hören, schmecken, betasten oder fühlen muss. „Reizüberflutung“ nennen wir dieses Phänomen. Tausend Reize stürmen auf einen ein und der Mensch wird dazu aufgefordert, ja nicht bei einem einzigen zu lange zu verweilen, damit ihm die anderen Reize nicht durch die Lappen gehen. Die Folge ist Stress und Hektik, Unruhe und Hast und natürlich die ständige Unzufriedenheit, weil nichts auch wirklich gelingt beziehungsweise zur Vollendung gelangt.
Die Tugend der Beharrlichkeit steht all dem entgegen. Sie hilft nicht nur, getroffene Entscheidungen umzusetzen und zu vollenden, sie verschafft dem Menschen in seinem Leben auch die nötige Ruhe und Zufriedenheit. Sie hilft gegen die Schwierigkeiten, die es im Leben immer wieder einmal zu meistern gibt.
Die Methode der Beharrlichkeit, die sich gerade auf schwierigen, steilen Wegstrecken bewährt, ist mit drei Worten erklärt: Schritt für Schritt. Wie willst du denn bei deiner Langsamkeit dein Ziel erreichen, wird Tranquilla Trampeltreu in Michael Endes Geschichte von den Tieren gefragt. Ihre Antwort: „Schritt für Schritt“. Die Umgebung lächelt über sie, ja erklärt sie für unvernünftig oder gar verrückt, doch die beharrliche Schildkröte erreicht ihr Ziel.
4. Die wünschenswerteste Gabe
Der heilige Franz von Sales steht natürlich auf der Seite der Schildkröte, wenn er in seinem Buch „Philothea“ schreibt: „Lassen wir die Blinden gehen! Sie mögen schreien, soviel sie wollen, wie der Waldkauz, der die Tagesvögel schreckt. Bleiben wir fest bei unserem Vorhaben, unwandelbar in unserem Entschluss! ... Kometen und Planeten haben scheinbar denselben Glanz; aber die Kometen verschwinden bald, denn sie sind nur vorübergehend aufleuchtende Feuer, der Glanz der Planeten dagegen ist beständig.“ (DASal 1,212)
Und im Theotimus erfahren wir, was wir tun können, um die Tugend der Beharrlichkeit zu erlangen: „Die Beharrlichkeit ist auf alle Fälle die wünschenswerteste Gabe, die wir in diesem Leben erhoffen können und zwar von Gott allein, von ihm, der allein den zu festigen vermag, der steht, und den aufrichten kann, der daran ist zu fallen. Deshalb sollen wir auch nie aufhören, um diese Gabe zu bitten und die Mittel zu gebrauchen, durch die wir sie nach Gottes Weisung erlangen, nämlich Gebet, Fasten und Almosen, Sakramentenempfang, Umgang mit guten Menschen, Anhören und Lesen der Heiligen Schrift.“ (DASal 3,174)
5. FRAGEN ZUM NACHDENKEN
- Fällt es mir schwer, Entscheidungen beharrlich durchzuführen?
- Lasse ich mich durch Schwierigkeiten leicht von meinen Entscheidungen abbringen?
- Bitte ich Gott um die Gabe der Beharrlichkeit?
Herbert Winklehner OSFS