Ein Leben in der Gegenwart Gottes ist für den heiligen Franz von Sales von großer Bedeutung. In Gottes Gegenwart leben, gehört für ihn zu den wichtigsten Grundregeln seiner Lehre. Leben in der Gegenwart Gottes ist für ihn das Fundament für eine geglückte und vertrauensvolle Gottesbeziehung.
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In der Philothea schreibt Franz von Sales: „Gott ist ja in allem und überall; es gibt keinen Ort und kein Ding, wo er nicht wirklich gegenwärtig wäre. Wohin die Vögel auch fliegen, sie finden ihr Element, die Luft in der sie sich bewegen; so finden auch wir, wohin immer wir gehen mögen, Gott überall gegenwärtig. Jeder kennt diese Wahrheit, aber wie viele gibt es, die sie wirklich erfassen? Wir sehen den allgegenwärtigen Gott nicht; obwohl uns der Glaube dessen versichert, vergessen wir auf seine Gegenwart oft und benehmen uns, als wäre Gott weit entfernt von uns. Denn obwohl wir Gott überall gegenwärtig wissen, denken wir nicht daran und tun, als wüssten wir es nicht“ (DASal 1,73).
Franz von Sales beschreibt hier ein Problem, das jeder von uns kennt: Uns ist oft nicht bewusst, dass Gott gegenwärtig ist. Wir sagen dann sehr leicht: Ich spüre Gott nicht, Gott zeigt sich mir nicht, er ist mir fern. Franz von Sales gibt hier den Rat, zwischen Gefühl und Realität zu unterscheiden. Wenn ich das Gefühl habe, dass Gott nicht da ist, heißt das nicht, dass er fern ist. Die große Botschaft des Evangelium lautet: Gott ist da, er ist jedem von uns – zu jeder Zeit – nahe. Franz von Sales empfiehlt deshalb, sich nicht vom Gefühl verunsichern zu lassen, sondern sich gerade in solchen gefühlstrockenen Zeiten immer ins Bewusstsein zu rufen, dass Gott bei mir ist.
Jeder von uns kennt solche Zeiten der Unsicherheit und Trockenheit. Niemand ist davor gefeit. Es gibt auch genügend Beispiele aus der Heiligen Schrift, einige davon möchte ich hier näher beschreiben:
Kurz nach dem tragischen Ereignissen in Jerusalem – die Hinrichtung ihres Meisters, Jesus Christus, auf den sie alle Hoffnung gesetzt hatten – verlassen zwei seiner Jünger Jerusalem Richtung Emmaus. Auf diesem Weg begegnen sie Jesus. Sie waren aber mit ihren Problemen so beschäftigt, dass sie gar nicht merkten, dass Jesus schon seit geraumer Zeit mit ihnen geht. Erst sehr spät, beim Brotbrechen in Emmaus, gingen ihnen die Augen auf. Erst in der Rückschau können sie sagen: „Brannte nicht unser Herz, als er mit uns redete?“
Ein Grund, warum wir die Gegenwart Gottes nicht wahrnehmen, liegt darin, dass wir zu sehr mit uns und unseren Problemen (egal ob in der Vergangenheit oder in der Zukunft) beschäftigt sind. Da fehlt uns schlicht die Offenheit, das, was JETZT ist, wahrzunehmen.
Eine andere Person der Bibel, die mit der Gegenwart Gottes eine wichtige Erfahrung machte, ist der Prophet Elija:
Diesem Propheten Elija wird alles zuviel. Er flieht in die Wüste und wünscht sich den Tod. Nach vierzig Tagen Wüstenwanderung erreicht er eine Höhle, in der er sich versteckt. Und dann, so heißt es, zog der Herr vorüber, zunächst ein heftiger Sturm – aber Gott war nicht im Sturm; dann ein Erdbeben – doch Gott war nicht im Erdbeben; dann folgte ein mächtiges Feuer – doch auch im Feuer war Gott nicht. Schließlich hörte Elija ein sanftes, leises Säuseln des Windes. In ihm war Gott.
Ein zweiter Grund, warum wir Gott oft nicht wahrnehmen, besteht also darin, dass wir glauben, er ist nur in den großartigen und mächtigen Dingen erfahrbar. Das ist für uns heutige Menschen ein großes Problem. Wir sind es gewohnt, im Lärm zu leben; alles muss anscheinend laut und gewaltig sein. Wir sind in der Versuchung, dass wir nur das wahrnehmen, was laut und schrill daherkommt. Die leisen Töne überhören wir. Vielleicht ist das in unserer Gesellschaft noch schlimmer. Viele halten nur das für wahr und richtig, was mit großem Getöse daherkommt. Worüber die Massenmedien lautstark berichten, wird geglaubt. Gott aber zeigt sich dort, wo wir ihn nicht vermuten: im Kleinen, Ruhigen, Einfachen, Stillen.
Ein letztes Beispiel aus der Bibel: Der Stammvater Jakob.
Jakob hatte seinem Zwillingsbruder Esau ziemlich übel mitgespielt. Er betrog ihn, was damals ein großes Unrecht war, um das Erstgeburtsrecht. Nun ist er auf der Flucht, weil er Angst hat, Esau könnte ihm deswegen etwas antun. Angst- und schuldbeladen flieht er von Zuhause weg und gelangt an einen einsamen Ort, wo er die Nacht verbringt. In dieser Nacht hat er einen Traum. Er sieht eine Leiter, die von der Erde in den Himmel hinaufführt und auf der Engel auf und nieder steigen. Ganz oben auf der Leiter steht Gott und sagt zu ihm das berührende Wort: „Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst. … Ich verlasse dich nicht“ (Gen 28,15). Kein Wort der Zurechtweisung von Gott, nur ein Segen. Wir denken da vielleicht sofort: Wie kann Gott mit einem so hinterlistigen, betrügerischen Menschen so liebevoll reden? Müsste er ihn nicht zuerst zurechtweisen? Dem, der schuldig geworden ist, verheißt Gott eine segensreiche Zukunft.
Ein dritter Grund, warum wir Gott manchmal nicht wahrnehmen, liegt in unserer verkehrten Vorstellung, dass bei uns alles perfekt und fehlerlos sein muss, wenn wir Gott erfahren wollen. Die Bibel lehrt uns etwas anderes. Gott geht es nicht um perfektes, fehlerloses Leben, sondern um ein aufrichtiges Herz. Auch dort, wo wir in Schuld geraten sind, wo wir über uns enttäuscht sind, können wir Gott begegnen.
In der Philothea gibt uns Franz von Sales vier Übungen, die helfen können, uns der Gegenwart Gottes bewusst zu werden (DASal 1,73-75):
Im Leben in der Gegenwart Gottes liegt Kraft und Heilung. Franz von Sales schreibt daher: „Wenn dein Herz wandert oder leidet, bring es immer wieder zu Gott zurück.“ Was uns meistens zu schaffen macht, sind Zukunftsängste, Probleme, Aufgaben, die anstehen. Je mehr wir dann darüber nachdenken und uns damit beschäftigen, umso größer wird die Angst und das Unbehagen. Leben in der Gegenwart Gottes heißt: mich nicht vom Morgen gefangen nehmen lassen, sondern jetzt leben – Schritt für Schritt, eine Aufgabe nach der anderen, im Vertrauen, dass Gott da ist. Wenn ich Schritt für Schritt meinen Auftrag erfülle, werde ich merken, wie die anscheinend großen Probleme, gar nicht so ungeheuer sind. Oder wie Franz von Sales einmal an eine Frau schreibt, die große Zukunftsängste hat: „Schauen Sie auf den Weg vor sich und nicht auf die in weiter Ferne drohenden Gefahren. Es scheinen Ihnen ganze Armeen von Problemen zu sein; Sie werden sehen: es sind doch nur zugestutzte Weiden“ (DASal 6,41).
Hans Leidenmühler OSFS
Weitere Übungen des Versetzens in Gottes Gegenwart