Franz von Sales: Patron der Gehörlosen


Franz von Sales -
erster Patron der Gehörlosen

Der heilige Franz von Sales wird neben seinem Journalistenpatronat auch als Patron der Gehörlosen verehrt.


1.  Historischer Anlass

Charles-Auguste de Sales beschreibt in seiner Biografie über seinen heiligen Onkel (erschienen 1635, Band I, S. 399f) den historischen Anlass dafür, dass der heilige Franz von Sales heute als Patron der Gehörlosen verehrt wird. Er berichtet, dass der Bischof, als er 1605 die Fastenpredigten in La Roche hielt, einem Gehörlosen begegnete. Wörtlich steht in dieser Biografie Folgendes (natürlich in der Sprache des 17. Jahrhunderts, das noch den Begriff „taubstumm“ verwendet, der jedoch heute von den Gehörlosen als diskriminierend empfunden wird, da Taube oder Gehörlose nicht stumm sind, sondern die heute als offizielle Sprache anerkannte Gebärdensprache sprechen):

„Fast jeden Tag kam an seine Tür einer namens Martin, der von Geburt an taubstumm war, um ein Almosen zu empfangen. Er war übrigens zu jeder Art von Diensten zu gebrauchen. Deshalb nahmen die Diener des Bischofs oft seine Hilfe in Anspruch und stellten ihn ihrem seligen Herrn während der Mahlzeit vor. Der gute Bischof wurde von Mitleid mit diesem armen Menschen gerührt, vor allem aber deswegen, weil er infolge seines Gebrechens und seiner Unwissenheit im Glauben der Teilnahme an der heiligen Eucharistie beraubt war. Er versuchte ihm durch Zeichen etwas von den göttlichen Geheimnissen zu erklären. Als er sah, dass es ihm nicht an Geist mangelte, so dass er unterrichtet werden konnte, nahm er ihn unter seine Diener auf. Durch ständiges Bemühen erreichte er, dass der arme Bursche gute Auffassungen von Gott bekam, dass er das Laster mied, die Tugenden liebte, seine Sünden bekannte und (was bewundernswert ist) sogar seine guten und bösen Gedanken und die Gesinnungen seiner Seele offenbarte. Auf diese Weise kam der Diener Gottes zu dem Urteil, dass er die heilige Kommunion empfangen konnte. Wenn nun der Taubstumme beichten wollte, betrat er das Zimmer seines guten Herrn mit gesenktem Blick, schloss sorgfältig die Tür und die niederen Fenster, aus Sorge, dass er gesehen werde. Dann kniete er nieder und enthüllte durch Zeichen alles, was er getan hatte, weinte bitterlich und schlug sich an die Brust; und die Wangen des heiligen Bischofs benetzten die Tränen, die ihm das Mitleid in die Augen trieb. Schließlich liebte er diesen armen Menschen so sehr, dass er seinem ganzen Hausgesinde ausdrücklich verbot, ihm irgendein Leid oder Unrecht zuzufügen.“

Im 17. Jahrhundert wurde noch allgemein angenommen, dass „Taubstumme“ bzw. „Gehörlose“ auch geistig behindert seien, sodass jeglicher Unterricht, jegliche Erziehung oder Ausbildung als Zeitverschwendung galt. Außerdem gab es unter den Theologen die Meinung, dass Gehörlose nicht glauben können, weil eben der Apostel Paulus verkündete, dass der Glaube vom Hören komme. Insofern war das Verhalten des heiligen Franz von Sales eine beispielhafte Ausnahme, die vor allem seinem positiven Menschenbild zuzuschreiben ist, das ihm sagte, dass jeder Mensch, egal ob gesund oder behindert, ein Geschöpf und Abbild Gottes ist.
Franz von Sales stellte den gehörlosen Martin, der etwa 25 Jahre alt war, in seinem Bischofshaus in Annecy als Gärtner an. Mit Hilfe von Zeichen und Gesten, die er mit Händen und Fingern formte (eine Art Gebärdensprache also) unterrichtete Franz von Sales mit Geduld und Ausdauer seinen gehörlosen Schüler. Bereits ein Jahr später, 1606, konnte Martin die Erste Heilige Kommunion empfangen. Und zwei Jahre später, 1608, spendete ihm dann Franz von Sales auch das Sakrament der Firmung.
Martin wurde einer der treuesten Diener des heiligen Franz von Sales, der nicht nur seinen Garten pflegte. Martin betete mit großer Leidenschaft, prüfte jeden Abend vor dem Schlafengehen sein Gewissen und ging regelmäßig bei seinem Bischof zur Beichte. Wann immer es ihm möglich war, ministrierte er bei der Messe des Bischofs. Nach dem Tod des heiligen Franz von Sales besuchte er bis zu seinem eigenen Tod fast täglich das Grab seines verehrten Bischofs.

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2.  Ernennung zum Patron der Gehörlosen

Eine genaue Datierung über eine offizielle Ernennung des hl. Franz von Sales zum Patron der Gehörlosen ist nicht bekannt. Das Patronat dürfte zunächst aus der Verehrung des heiligen Franz von Sales in der Bevölkerung erwachsen sein, wie es bei vielen anderen Patronaten auch der Fall ist.
Die älteste bekannte Erwähnung, dass Franz von Sales Patron der Gehörlosen ist, findet sich in einem Buch von Pietro Giacinto Gallizia, Vita di S. Francesco di Sales, Vescovo e Principe di Ginevra. Roma: Tipografia delle Belle Arti (libro 3, cap. 11, p. 193). Das Buch erschien im Jahre 1838.
P. Louis Brisson, der Gründer der Oblatinnen und Oblaten des heiligen Franz von Sales, berichtete in einer Ansprache vor dem Katholischen Verein in Frankreich 1869, dass eine Gruppe von 3.000 Gehörlosen aus Frankreich, Belgien und Italien eine offizielle Bitte an den seligen Papst Pius IX. gerichtet hatten, Franz von Sales offiziell als ihren Patron zu ernennen. Der Papst antwortete auf diese Bitte: „Es ist notwendig, dass die Taubstummen einen Patron bekommen. Ich werde Ihnen diesen Patron geben, es soll der heilige Franz von Sales sein. Er hatte einem taubstummen Diener namens Martin alles mit viel Geduld gelernt, damit dieser die heiligen Sakramente empfangen kann.“
Der heilige Papst Pius X. soll später, während seiner Amtszeit, wahrscheinlich im Zusammenhang mit der „Frühkommunion“ bzw. Vorbereitung auf den Kommunionempfang und die tägliche Kommunion, diese „Ernennung“ bestätigt bzw. wiederholt haben.
Leider sind die salesianischen Forschungen darüber noch nicht so weit gegangen, sämtliche päpstliche Aussagen von Pius IX. und Pius X. dahingehend zu überprüfen. Tatsache ist allerdings, dass in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts der heilige Franz von Sales sehr hoch im Kurs stand. Man spricht heute vom „salesianischen Frühling“ des 19. Jahrhunderts. Das zeigt z.B. die Tatsache, dass während des Ersten Vatikanischen Konzils der offizielle Antrag aller Kardinäle gestellt wurde, Franz von Sales zum Kirchenlehrer zu erheben. Diesem Antrag wurde stattgegeben und 1877 wurde dann Franz von Sales feierlich durch eben den seligen Papst Pius IX. zum Kirchenlehrer erhoben. Außerdem wurden im 19. Jahrhundert eine Reihe von Ordensgemeinschaften gegründet, die sich auf den heiligen Franz von Sales berufen, z.B. die Salesianer Don Boscos, die Missionare des heiligen Franz von Sales oder die Oblaten des heiligen Franz von Sales.

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3.  Institute für Gehörlose

Eine weitere Tatsache ist, dass in vielen Einrichtungen für Gehörlose, die gerade zu dieser Zeit gegründet wurden, Franz von Sales als Patron der Gehörlosen verehrt wird und deren Häuser, Werkstätten, Schulen, Vereine oder Zeitschriften auch den Namen „Franz von Sales“ tragen. Dass all diese Institutionen Franz von Sales als ihren Patron betrachten, muss seinen Grund darin haben, dass er eben zu dieser Zeit auch kirchenoffiziell als Patron der Gehörlosen anerkannt war.

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3.1  Filippo Smaldone und die Salesianerinnen vom Heiligsten Herzen

Mit der 1996 erfolgten Seligsprechung von Filippo Smaldone (1848-1923) erhielten die Gehörlosen einen zweiten Schutzpatron, der von seinem Leben her bei Weitem intensiver mit den Gehörlosen in Verbindung gebracht werden kann als Franz von Sales. Smaldone engagierte sich schon im Priesterseminar in der Gehörlosenseelsorge und gilt als Begründer der Gebärdensprache. 1885 gründete er einen Schwesternorden, der sich ausschließlich um die Erziehung von gehörlosen Kindern kümmert. Interessant ist, dass mit dieser Gründung auch Smaldone einen Bezug zu Franz von Sales herstellt, in dem er seine Schwesterngemeinschaft „Salesianerinnen vom Heiligsten Herzen“ (Congregatione delle Suore Salesiane dei Sacri Cuori) nennt und sie dem Patronat und der Spiritualität des hl. Franz von Sales anvertraut. Papst Johannes Paul II. sagte in einer Ansprache am 27. April 1985 (anlässlich des 100-jährigen Bestehens dieser Kongregation), zu den Schwestern, dass diese „zur Erziehung und Bildung der Gehörlosen“ am 28. März 1885 gegründet wurden und „unter dem Patronat und der Spiritualität des heiligen Franz von Sales“ stehen (Siehe: Voller Wortlaut der Ansprache des Papstes. Auf ihrer Internetseite weisen die Schwestern auch heute noch extra darauf hin, dass sie deshalb „Salesianerinnen“ heißen, weil Franz von Sales der Patron der Gehörlosen ist. Am 15. Oktober 2006 sprach Papst Benedikt XVI. Filippo Smaldone heilig.

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3.2  Kongregation des hl. Josef und des hl. Franz von Sales für Taubstumme

Es gibt noch eine weitere italienische Kongregation, die sich der Gehörlosen widmet und unter dem Patronat des hl. Franz von Sales steht. Sie wurde von den Priesterbrüdern Guiseppe und Cesare Gualandi 1872 unter dem Namen „Kongregation des hl. Josef und des hl. Franz von Sales für die Taubstummen“ (Pia Congregazione die S. Giuseppe e S. Francesco di Sales per i Sordomuti)gegründet und nennt sich heute „Kongregation der Väter der Kleinen Mission für die Gehörlosen“ (Congregazione dei Padri della Piccola Missione per i Sordomuti). Diese Kongregation veröffentlichte erst 2004 in Italienisch ein Buch über Franz von Sales als Patron der Gehörlosen. Es trägt den Titel „La vita del Protettore dei sordomuti. San Francesco di Sales“ (Das Leben des Schutzpatrons der Gehörlosen. Franz von Sales, erschienen 2004 in Rom).

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4.  Weblinks

Herbert Winklehner OSFS


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